Nach langer Zeit mal wieder ein Lauf- und Erlebnisbericht aus
meinem Notebook. Leider nur mit wenigen Bildern, denn ich hatte einfach
keine Lust zum Knipsen.
Warum steh ich hier? Einfach weil sich etwas ändern
muss? Vielleicht kennt ihr dieses Gefühl, wenn man ganz kurz
entschlossen die Schuhe anzieht und los- oder auch davonrennt.
Auf der kurzen Fahrt nach Welzheim (30 km östlich
von Stuttgart) denke ich an meinen 1. Marathon vor über 20 Jahren und
die Unsicherheit, die ich damals mit zum Start getragen hatte. Heute,
bei meinem zweiten (stimmt wirklich, das ist erst mein 2. normaler
Marathon) ist auch eine Unsicherheit da, aber ganz anders als damals.
Die 42km sind nicht das Thema. Die Laufzeit erst recht nicht. Hab nicht
mal eine Uhr dabei. Einfach laufen und irgendwann irgendwo ankommen. Das
reicht für heute. Ja, ich wäre froh, wenn ich bei mir selbst ankommen
würde. Das war früher noch anders, als mein ganz großes Ziel alle
Gedanken beherrschte: Unter 3 Stunden. So einfach war das damals.
Damals 1989 beim Schurwaldmarathon in Rommelshausen hatte ich mein Ziel
erreicht. Danach bei den längeren Läufen gab es auch noch schöne, aber
ganz andere Ziele. Und viele schöne Momente, die ich erleben durfte.
Hoffentlich klappt das mal wieder.
Am Start: Wie immer bei den Volksläufen
stehe ich ganz hinten. Vor mir einige hundert Halbmarathonis und auch
ein paar (insgesamt nur 70 Läufer), die den ganzen Marathon laufen
wollen. Die ersten 20km sind identisch mit der Halbmarathonstrecke.
Neben mir wartet Johann, ebenfalls mit einer blauen Marathon-Startnummer
am Bauch. Eigentlich wollte ich alleine laufen. Davonlaufen. Bloß keine
Erwartungen, die an mich gestellt werden. Und bloß selbst keine eigenen
Erwartungen produzieren! Jetzt bin ich aber für ein kurzes Gespräch mit
einem netten Menschen sehr dankbar. Die wenigen Worte reichen, mich in
eine bessere Stimmung zu bringen. Das ist gut so. Auch Johann sieht das
Ganze zum Glück sehr entspannt. Das scheint ja eine fränkische Stärke zu
sein.
Nach dem Start und einigen Metern durch den Ort
geht es hinunter zum Ostkastell, einer großen Station an der
nordöstlichen Grenze des alten römischen Reichs in Germanien. Seit 2005
ist der Limes Weltkulturerbe und nach der Chinesischen Mauer das
zweitlängste (550 km) Flächendenkmal der Welt. Ich kenne die Gegend und
die restaurierten Limes-Reste gefallen mir. Durch die Ernennung zum
Weltkulturerbe sind hier einige Gelder geflossen und neben dem
archäologischen Park auch in der Umgebung viele Überreste freigelegt und
restauriert worden, sowie Wachtürme nach altem Muster wieder aufgebaut.
Mittlerweile scheint auch die Sonne ein wenig zwischen den Wolken durch.
Ich genieße den Moment. Keine 20 Sekunden später rutsche ich im nassen
Gras aus und lande auf dem Hintern. So schnell kommt man wieder auf den
Boden der Tatsachen.
Welzheim war zur Römerzeit ein wichtiger
Truppenstandort am obergermanisch-rätischen Limes, der von hier aus
einige Kilometer in südliche Richtung bis nach Lorch und weiter nach
Osten bis kurz vor Regensburg verläuft. Auch heute, über 1.750 Jahre
nachdem die Römer sich verzogen haben, ist gut was los hier. Keine
römischen Soldaten, heute sind die Germanen da. Angesichts der schmalen
Wege fast ein paar zu viele. Aber das ist kurz nach dem Start ja normal.
Ich laufe mit Johann, wir unterhalten uns und sind
flott unterwegs. Zu schnell, zumindest für meine Verhältnisse. Egal, ich
kann ja später immer noch wandern. Und so vergehen die Kilometer ohne
viel Nachdenken. Es ist für mich weder ein Davonlaufen, noch ein
Ankommen. Einfach relativ unbeschwert durch die Gegend rennen. Auch gut.
Sorgen vergessen ist besser als sie mühsam zu verdrängen.
Alle etwa 3km gibt es eine Versorgungsstelle, immer
mit freundlichen Menschen. Mich hat der Gute im Gegensatz zu der
Läuferin nach mir nicht nach der Telefonnummer gefragt...
Und den Spaß am Laufen haben nicht nur wir. Der
junge Braune lässt sich anstecken und genießt die unbeschwerte Bewegung
auch.
Nach 12km geht es auf das landschaftlich schönste
Stück der Strecke. Endlich mal wieder in einem echten Wald und weg von
Straßen. Anschließend laufen wir auf ebenen Wegen am Waldrand und über
Wiesen zum Aichstruter Stausee und weiter nach Welzheim.
Die ersten 20km sind geschafft. Für die meisten
Läufer geht es zurück durch den Ort ans Ziel des Halbmarathons.
Gute Musik am Abzweig der Marathonstrecke.
Herzlichen Dank an die Truppe! Meist suche ich eher die Ruhe, aber jetzt
tun mir die flotten Rhythmen gut. Ich kann gerade etwas Ablenkung gut
vertragen. Ich war übermütig und zu schnell unterwegs.
Mit einem kurzen aber knackigen Anstieg gehen wir
auf die zweite Schleife der Strecke. Johann ist einige Meter vor mir und
wäre fast vorbei gelaufen, weil kein Schild darauf hingewiesen hat und
der Streckenposten gepennt hat. Im letzten Moment bekomme ich die Info
und rufe ihn zurück. So was sollte nicht passieren.
Wasser-
und Stromversorgung - 50 Jahre Altersunterschied
Vorbei am großen Windrad und am Aichstruter
Wasserturm geht es wieder nach Norden bis kurz vor Kaisersbach und auf
der gleichen Strecke wie die ersten 12km wieder zurück nach Welzheim.
Mittlerweile spüre ich meine Sprunggelenke, die Kraft lässt deutlich
nach und ein flaues Gefühl im Bauch stellt sich auch noch ein. Ich muss
langsamer tun und sollte etwas essen. Hab aber nichts und an den
Versorgungsstellen gibt es auch nur Bananen. Von denen hatte ich schon
einige. Ein Stück Brot wäre jetzt gut. Am letzten größeren Anstieg bei
km 27, bevor es wieder nach Süden geht, verfalle ich kurzzeitig in den
Wanderschritt. Johann quittiert es mit seinem lang gezogen fränkischen „Ooooh
jaaa“ und hält sich die Oberschenkel. Der arme Kerl spürt auch die
Beine, schließlich ist er am Tag zuvor schon über 65 Kilometer gelaufen.
Wir beide werden langsamer, was uns aber ganz und
gar nicht stört. Wir können und wollen beide nicht laufen und trinken
gleichzeitig. Entweder verschlucke ich mich oder versabbere das Shirt.
Also schieben wir an den Versorgungsstellen einfach kleine Päuschen ein.
Passt schon so. Leider geht es im schönen Welzheimer Wald immer wieder
auf Rad- oder Gehwegen neben Straßen her. Nicht so schön, auch wenn sich
der Verkehr in Grenzen hält. Da könnte der Veranstalter eine bessere
Wegführung finden. Aber die Landschaft drumrum ist sehr schön hier.
Im Ziel: Ich liege im Gras, die Augen geschlossen,
muss und will nachdenken und bin müde. Zufrieden? Ziel erreicht? Keine
Ahnung. Doch schon, irgendwie. Andererseits auch nicht. Vor mir fällt
gerade der große aufgeblasene Zielbogen in sich zusammen. Die Luft ist
raus. Bei mir auch. Offensichtlich fehlt uns beiden jetzt die Energie.
Ich hole mir schnell einen Becher von dem komischen Isogetränk. Ein
Weizenbier gibt es hier im Ziel leider nicht, das wäre mir jetzt lieber.
Ich muss innerlich grinsen, der
Energieerhaltungssatz fällt mir gerade ein. „Energie geht nicht
verloren“, so in der Art. Wir sind in unserer Läuferwelt auch so ein
geschlossenes System, in dem dieses Gesetz gilt. Die Energie ist schon
noch irgendwo. Sie blieb als Wärme auf der Strecke, im wahrsten Sinne
des Wortes. Kein Wunder, dass ich so kaputt bin und schwitze... Ich
sollte realistischer sehen, welche Ziele und Wünsche erreichbar sind und
was wirklich gut ist für mich. Und besser haushalten, nicht nur beim
Marathonlaufen, auch oder noch mehr im restlichen Leben.
Welche Gedanken wohl die Laufkollegen im Kopf
haben. Hier gleich nach dem Lauf. Und einige Zeit danach? Keine Ahnung,
vielleicht schreiben sie ja auch einen Bericht
Ich unterhalte mich mit Johann, wünsch ihm alles
Gute und verabschiede mich. Es waren schöne Stunden.
Fazit: Welzheim bietet nicht auf allen 42km
uneingeschränkten Laufgenuss, aber es ist doch eine abwechslungsreiche
Strecke in schöner Landschaft, eine gut funktionierende Organisation,
ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Die sehr vielen
Verpflegungsstellen sind leider dürftig bestückt. Irgendwann hatte ich
genug vom Wasser, wenig schmackhaftem Iso und Bananenstücken. Da hätte
mir Cola, Apfelschorle und feste Nahrung wie z.B. ein Brot gut getan.
Vielen Dank an die vielen Helfer, die immer sehr freundlich und
hilfsbereit waren.
Ziel erreicht? Diese Frage habe ich mir oft
gestellt, wäre auch ein guter Titel für meinen Laufbericht gewesen.
Deshalb habe ich den Bericht auch erst 14 Tage nach dem Lauf
geschrieben. Ziel erreicht? Diese Frage konnte und wollte ich nicht
früher beantworten. Ich habe wieder erfahren müssen, dass man auf einer
Marathonstrecke wirklich nichts beweisen kann. Sich selbst nicht und
anderen noch viel weniger. Warum auch. Das ist gut so, denn das wäre zu
einfach. Angetrieben durch Frust und Trotz durch die Gegend zu rennen,
ist etwas blöd. Nach 5 Tagen fragt dann jemand ausschließlich nach der
Laufzeit und ich bekomme ein knappes „Klasse“ als Kommentar. So was
hatte ich mir sogar erhofft. Nur nicht als Kommentar zu einer Leistung,
auf die ich nicht stolz bin. Eher als Aufmunterung und als Anerkennung,
dass ich was getan habe. Ja, das hätte ich mir gewünscht. Mir wäre auch
eine ganz andere Frage wichtiger gewesen, denn die Laufzeit sagt gar
nichts aus, wie man sich fühlt. Und nur das zählt. - So ein Mist, ich
hatte mir so sehr vorgenommen, keine Erwartungen zu produzieren. Ziel
glatt verfehlt! Sorry, ich kann meine Enttäuschung nicht ganz verbergen.
So fühlt sich mein Leben eben gerade an. - Nein, Träumen werde ich so
schnell nicht mehr nachrennen.
Sportlich gesehen lief es bei mir fast zuuu gut.
Klar war das Blödsinn, so schnell zu laufen. Fast ohne Training. Aber
was soll's, ich lebe noch und es musste auch genau so sein. Der Körper
steckt die Dinge im Moment viel besser weg als der Geist. Der etwas
verrückte (nicht bös gemeint) Ultraläufer Klaus Neumann hat es auf einem
Trikot stehen: „Ich bewege mich und komme deshalb voran“, oder so
ähnlich. Ich habe mich heute bewegt und ich komme auch voran. In kleinen
Schritten halt. Die Ziele habe ich wohl, die Wege muss ich noch finden.
Vielen Dank an dieser Stelle an Johann, mit dem ich
die ganzen 42km gelaufen bin und an die Menschen, die mir nach dem Lauf
so viel Verständnis entgegen brachten und mir Mut für die Zukunft
gemacht haben. Genau diese Dinge sind viel mehr wert, als die Bewertung
von Laufzeiten.
Euer Jörg
Infos:
www.limes-marathon.de (Marathon 25 €)
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