zurück zur Startseite "Team Bittel" / Impressum / Weitere Freizeitthemen | ||||||
|
Letzte Änderung: 23.06.2011 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
100km-Ultra Trapani-PalermoWest-Sizilien
|
Von Trapani nach Palermo |
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Ich begleite Suse einen Tag lang durch ihr geliebtes Sizilien, bis die Füße qualmen. - Philosophisches, Praktisches und mehr...
Der Vortag Am Tag vor dem Lauf regnet es in Sferracavallo, dem Zielort und Vorort der Millionenstadt Palermo. Es windet und stürmt sehr. - Na, das kann ja was werden, morgen! Doch der Wetterbericht sagt lt. Suse „warm und Sonne“ voraus. Ich weiß wenig von der Region hier, es ist auch noch nicht Saison, aber ich beobachte und höre zu, vor allem Suse, meiner „Reiseführerin“, die immer wieder erklärt und erzählt über Sizilien und Palermo. Meist ist sie aufgeregt wegen morgen und sorgt sich über alles Mögliche. Wetter, Verpflegung und v.a. die Kleidung.
Was soll ich anziehen? Ich kann mich nicht entscheiden. Was soll ich bei km 51 oder km 80 deponieren? Mir fällt nichts ein. Trinkgürtel? Nein, der schnürt auf so lange Distanzen nur ein. Zudem gibt es alle 5-6 km Verpflegung. Kurzes Shirt? Das erscheint mir zu unsicher: der Wind, die Morgen- und Abendkühle, evtl. Regen? Alles ist möglich. So entscheide ich mich für Short (da besteht bei mindestens 18°C kein Zweifel) und dünnes Langarmshirt. Und es sollte eine gute Wahl sein.
Der Lauftag beginnt
Start ist leider nicht um 8.00 Uhr wie geplant, weil die „Ambulanza“ nicht da ist. Es ist kalt. Leider kann man nirgends rein um der Kühle zu entkommen. Zum Glück ist kein Wind. Mich friert es. Suse erwartet Michele und seine Frau Angela. Im Startgewimmel sprechen sie über die italienischen Etappen für den Europalauf 2009. Michele bietet seine Hilfe an. Dann endlich kommen die Sanitäter doch, eine halbe Std später. - 8.32 Uhr, endlich geht’s los. Wir sind nicht viele Läufer, inklusive der 120 Halbmarathonläufer, aber viele „über 50“. Gesittet und ohne Gedrängel geht es durch eine enge sizilianische Strasse mit hellen Häusern und vielen Balkons. Dann um zwei Ecken herum laufen wir am Meer entlang. Es ist ruhig, dunkelblau und wird uns begleiten. Breite Asphaltstrasse, aber die Autos fahren hier. Das wird ein Auto-Tag werden: immer Autos, überall um uns. Meist eine breite Landstrasse mit 1m Asphalt-Streifen für uns, manchmal nicht einmal das.
Wenig nach dem Start regnet es ein Weilchen, nicht richtig, aber wir werden feucht. Zum Glück ist den ganzen Tag nicht dieser heftige Wind der letzten Tage, sonst wäre es jetzt zu kalt. Um den Wind mache ich mir jetzt nicht mehr Sorgen. Ich laufe neben einer kleinen Blonden, Maria. Bald stößt ihr Teamkamerad Giacomo dazu. Sie hat genau meinen Schritt, Suse ist mir etwas zu schnell, aber noch in Sicht. Km 5, das Laufen geht leicht, ich beginne aber schon jetzt genau in mich zu horchen, den Lauf gut einzuteilen. Es ist nett mit Maria zu laufen, die hier in der Gegend zuhause ist, in Valderice.
Mit meinen immer besser werdenden, aber noch mageren Italienischkenntnissen erfahre ich von einem Castello, das oben auf dem Berg sei, leider in Wolken und nicht zu sehen. Letztes Jahr sei hier eine Mutter mit ihren beiden Kindern beim 100-km-Lauf überfahren worden, als sie über die Strasse ging. Wir laufen gerade am Denkmal mit den Blumen vorbei. Ich sehe überrascht zwei alte Windmühlen am Wasser stehen. Maria erzählt auch vom Nationalpark „Zingaro“ (Zigeuner), an dem ich später vorbeikommen würde. Ob es da wirklich Zigeuner gibt? Maria lacht. Natürlich nicht. Immer wieder fährt das Vereinsbegleitauto neben uns, hält und bietet Wasser oder Isogetränk an. Das Läuferfeld hat sich auseinander gezogen, wir sehen kaum jemanden vor uns. Maria, Giacomo und ich laufen ruhig und konstant, wir unterhalten uns etwas bis km 13, dann beginnt der lange steile Aufstieg, von dem Maria schon eine Weile erzählt und sehr großen Respekt hat: 250 m hinauf in Serpentinen. Im Aufstieg kommt mir eine Melodie in den Sinn: „Volare, volare“. Es wird gegen Ende so steil, dass alle gehen.
Puh! Oben angelangt bei km 16 saust sie durch ihren Heimatort Valderice bergab, enthemmt weil „emozionata“. Viele Bekannte grüßen sie, aus dem Auto, aus den Läden. Hey, da ist richtig Stimmung!
Trotz ihrer geringen Größe und der kleinen Beine rennt sie plötzlich so schnell, dass ich kaum mitkomme. Ich bin überrascht. Wir fliegen bergab dem Halbmarathonziel zu, ungebremst und ohne Giacomo, der zurückbleibt. Dieses schnelle Zwischenstück bergab sollte ich im letzten Drittel noch oft in den Oberschenkeln und Fußsohlen spüren. Km 20, Maria und ich verabschieden uns schon mal während des Laufens: Danke für die Begleitung. Das Ziel, 50 Leute jubeln, wir huschen über die Zeitmess-Matte. Kurze Umarmung, ein Foto. Und weiter. Fast vergesse ich zu trinken in diesem Gewimmel, der Zielbegeisterung und den wild anfeuernden Zuschauern.
Das Aufschließen zu Suse Suse muss jetzt etwa 1 km vor mir sein. Um sie einzuholen lege ich einen Schritt zu. Besser gesagt, ich bleibe in den flotten Schritt. Vielleicht rächt sich das? Kurz vor km 25 erreiche ich Suse. Wir treffen uns im jugendlichen Alter von 25 Jahren, um den Rest des „Lebens“ zusammen alt zu werden. Sie freut sich mich endlich zu treffen. Gut, es kann losgehen. Wir sind etwas abseits vom Meer, im bergigen Hinterland. Und alles läuft gut bei uns beiden, sogar meine Nase ab und zu ein wenig. Bergauf machen wir langsam, gehen die steilen Passagen, bergab versuche ich mit ihr mitzuhalten. In der Ebene laufen wir nebeneinander. An den Verpflegungstischen alle 5km, die von weitem gut sichtbar sind, stehen wir meist eine Minute oder zwei. In den Orten traben wir im Slalom durch die parkenden und kriechenden Autos des ewigen Stop-and-Go Verkehrs. Einmal fährt mir ein abbiegendes Auto knapp vor die Füße. Suse sagt: es ist für Sizilianer immer noch ein Zeichen von Wohlstand ein Auto zu haben. Und sie hat Recht, wir sehen so gut wie keine Fußgänger. Alles wird mit dem Auto gemacht. Jeder Meter.
Suse schimpft zunehmend häufiger über den Verkehr, die idiotisch parkenden Autos, die eng an uns vorbei zischenden Autos. Ich bin cool, nehme es eben so wie es ist: „Sicilia“. Ich laufe wie eine indische „Heilige Kuh“ durch den Verkehr und mache mir darüber keine Gedanken. Es läuft sich ganz gut so. Ich schirme Suse vom Verkehr ab. Wir traben an vielen Caffè-Bars vorbei, manchmal durch eine kleine Kaffeewolke. Riecht gut. Irgendwie gehört das zu Italien, finde ich. So wie auch immer wieder ein „Panificio“ (Bäckerei), wo es für ein paar Schritte verlockend nach frischem Ciabatta-Brot duftet. Ein bisschen Geld habe ich ja einstecken, denke ich mir, aber ich halte es aus. Wenn nicht gerade in einem Dorfverkehr und –lärm laufen wir in perfekter Frühlingsluft, vorbei an den direkt neben und aufragenden orange-roten Küstenfelsen und –bergen. Eine kleine Seebriese um die Nase, es ist ein herrliches Laufen jetzt. Ab Verpflegungsstelle km 30 läuft für etwa eine Stunde Massimo mit uns. Sein Schritt ist etwas schleifend. Suse dagegen rollt locker. Lustiger und redefreudiger Kerl. Er plaudert viel mit Suse, ich laufe dahinter, denn für 3 ist kein Platz auf der engen Strasse. Viel Verkehr ist jedoch nicht. Nach 4 Stunden hätte ich jetzt endlich Lust etwas zu essen. Zum Beispiel eine Banane. Zum Glück gibt es and er nächsten Verpflegungsstelle welche. Suse kennt die Gegend hier gut und erzählt seit einer geraumen Weile von einem langen Bergab-Stück. Es geht aber weiter bergauf. Massimo schenkt ihr einen der überall blühenden gelben Mimosenzweige, und küsst ihre Hand. Zum 8. März, dem Internationalen Frauentag wird jeder Frau in Italien eine Mimose geschenkt, erklärt Suse.
Irgendwann ab km 40 wird Massimo langsamer, vielleicht hat er endlich sein lang ersehntes Bier gefunden. Wir haben ihn verloren. Suse bemerkt, dass Entfernungen und Steigungen zu Fuß ganz anders sind als mit dem Auto. Nach dem Tunnel blicken wir jetzt auf die weite Bucht von Castellammare mit dem langen Sandstrand, und bald laufen wir zu ihm runter. Diese Häuser und engen Gassen von oben – ein herrlicher italienischer Blick. Suse ist ab und davon, 100 m voraus.
Manchmal habe ich den Eindruck, manche hier fahren nur auf und ab, um sich zu zeigen oder sonst was. Jetzt aber bin ich mir sicher. Ein schickes Cabrio taucht binnen 10 min zum zweiten Mal auf und rast eng an uns vorbei. Gut, dass hier nicht sehr viele hupen, denke ich mir. Aus manchen der kleinen Fiat Cinquecento oder sonstigen Miniautos dröhnt lauter Bass heraus. Italia 2007, Drum’n’Bass, denke ich mir und schwelge gleich weiter in meinen Gedanken, irgendwo. Ich habe eine perfekte Welle gefunden, eine Schwingung in der ich mich in Leichtigkeit befinde. Ich laufe leicht. Die Polizei und Helfer machen die Orientierung leicht und stehen bis zur Hälfte an allen kritischen Stellen. Die Motorradfahrer Crew mit den gelben Westen kommt regelmäßig vorbei, hätte Wasserflaschen für uns. Doch es ist nicht so heiß, es passt uns gerade so. Auch Luigi Stella, der Organisator fährt im Auto vorbei, grüßt, fragt wie es uns geht. Suse kennt ihn schon eine Weile, als Organisatorin und Übersetzerin für Deutschland. Ab der Hälfte sind unsere Begleiter kaum mehr zu sehen, Suse vermutet: Siesta, die sind sicher Mittagessen gegangen. Für uns ist es nach über 5 Stunden warme Mittagszeit, sozusagen „High Noon“. Wenn wir einen anderen Läufer vor uns sehen, an einem Verpflegungspunkt z.B., dann ist das schon ein Highlight für uns, so alleine sind wir unterwegs. Es riecht ein paar Schritte nach einem verwesenden Tier am Straßenrand. Der Asphalt brennt unter den Füßen. Wirklich: High Noon. Es ist interessant mit anzusehen, wie Suse von ihrer Lauflust bergab angetrieben wird. Ich versuche dabei zu bleiben, werde zwar auch etwas schneller, kann aber meist dennoch nicht ganz folgen ohne aus meinem gleichmäßigen Rhythmus zu kommen. Kaum ist das Bergab vorbei hole ich sie wieder ein. So ist das. Mir kommt wieder das „Volare, volare“ über die Lippen, Suse singt mit „Cantare, cantare“. Wir sind ein gutes Team, finde ich, es fühlt sich so an. Die Streckenmarkierung ist italienisch einfach, keine Schilder, nein: an die Mauern und Hausecken ist „100km“ gesprüht. Manchmal auch auf die Strasse. Mir gefällt die Art der Italiener. Wir laufen weiter im Bergland, durch den einen und anderen Tunnel, bergauf und ab durch enge Täler und wunderschöne Landschaft überall. Alles ist grün und frühlingshaft. Etliche Olivenhaine und Weinfelder. Die Sonne scheint wieder, es ist windstill und wird streckenweise richtig heiß. Gut, dass ich ein Cäppie aufhabe, und auch meine Sonnenbrille macht sich gut. Viele Wiesen blühen gelb, immer wieder Hunderte von orangefarbenen und purpurroten Blüten am Wegrand, und überall die leuchtend gelb blühenden Mimosenbäume. Der richtig warm gewordene Asphalt ist durch die Schuhe zu spüren. Er macht die Füße warm. Und weich. Und… das Laufen wird eine Spur schwieriger. Aber was kann man tun? Ich versuche den ganzen Fuß gut abzurollen, das entspannt ein wenig. Ich schüttle meine Arme aus. Ein vor uns laufender Italiener muss sich auf eine Bank setzten. Ich habe seinen etwas unausgewogenen Laufstil schon eine Weile sehen können. Er zieht sich den Schuh aus. Was er wohl hat? Kurz darauf haben wir ihn im Schlepptau. Es fühlt sich für uns beide sehr unangenehm an, wie er kilometerlang einen halben Meter hinter uns läuft, sich bei uns einhängt und ziehen lässt. Er schnaubt und schwitzt sehr. Ich sage zu Suse: „lassen wir uns nicht von ihm treiben, auch wenn es schwer ist“. Es ist schwer mit so jemandem im Nacken zu laufen.
Km 51, die erste offizielle „Wechselstelle“ mit Kleiderbeuteln. Suse ist froh über das deponierte T-Shirt, zieht sich um und ist ab jetzt gegen die Sonne an den Schultern und Armen geschützt, denn die scheint schon warm und kräftig. Und von immer derselben rechten Seite. Suse ist leicht rot an Arm und Schulter, ich habe mit meinem Langarmshirt Glück. - Wieder ein ½ Liter „Nestea Limone light“, ganz gutes Getränk (bis jetzt), zwei Stückchen frische leckere Sizilien-Orange und endlich wieder einmal eine Banane für mich. Den Käse und das Brot mag ich nicht essen, auch keinen Kuchen. Wir könnten auch zügiger „verpflegen“, doch wir bleiben lieber immer ruhig eine kleine Weile stehen. Unser lästiger Schatten ist ohne Halt weitergelaufen. Gut, dass er weg ist, aber er wird bald wieder auftauchen. Unser „Leben“ geht in die zweite Hälfte. Die zweite Hälfte Kein störender Wind ist bisher, es ist überhaupt nicht kalt, eher sehr warm, aber gerade noch erträglich. Meine Füße sind noch locker. Gut. Während wir Signore Schnaufer, der einen anderen Gehenden gefunden hat bergab überholen drückt mich etwas sehr. Ich muss in die Büsche. Nein, nicht Pieseln, das hatte ich heute schon x-mal, ist das andere. Mein Labello-Stift tut gut, ich reiche ihn auch Suse. Km 55 Mir kommen erste Gedanken an das „Danach“. Was werden wir tun? Ab km 60 werden die diese Gedanken häufiger. - Ich? Ich hätte dann gern ein Bett, Suse eine kalte Dusche. – Langsam kommen wir ins Rentenalter, es läuft sich nicht mehr so leicht. Doch noch geht es ganz okay. Immer häufiger gehe ich nach innen. Es wird ruhiger im Gespräch zwischen uns. Ganz wie zwei lang Verheiratete, sage ich zu Suse. Mir gefällt die Natur hier besonders. Die stetigen Hänge der Felsen an unserer Strecke an der Küste sind naturbelassen, steinige Wiesen ohne Bäume oder Häuser. Die Strände sind nicht mit Hotelanlagen verbaut. Ich mag die Kiefern, vereinzelt oder in kleinen Gruppen und vor allem die stolz und wie gezeichnet gewachsenen pyramidenförmigen Arauken („Zimmertanne“), die ab und zu in einem Vorgarten zu sehen sind. Und immer wieder Palmen. Erstaunt laufen wir unter einem „hey Suse, sieh mal, ein riesiger Gummibaum“ durch, und wer glaubt es: ich sehe oft tropische Bananenstauden!
Außer an den Verpflegungspunkten mit 2 oder mal 7 Leuten haben wir wenig Publikum. Ein vereinzelt bei km 63 applaudierender junger Mann wird von uns gelobt. Danke für den Applaus! Ich glaube, es war der einzige seit 5 Stunden, seitdem die Halbmarathonis weg sind. Gut, dass wir zu zweit sind, denke ich laut und Suse nickt.
In einem Tunnel überholt uns eine fitte Gruppe joggender Frauen. - Wann kommt endlich das nächste Schild? Seit einer Weile laufe ich wie im Gegenwind, nicht mehr so leicht. Ich bleibe am Berg als Suse zu gehen beginnt wieder einmal kurz stehen, dehne und strecke kurz meinen Rücken, die Beinsehnen und schließe trabend wieder auf. Ab etwa km 70 läuft es wieder gut. Ich wundere mich wieso und freue mich. Ich bin aus einem Laufrhythmus in einen anderen gekommen, hab eine neue Welle gefunden. Die „zweite Luft“. Es läuft sich wieder prima. Wieder einmal, alle 15km, ein kurzes gedankliches Innehalten. Dreiviertel des Lauftages sind vorbei, wie geht’s dem Körper? Keine Anzeichen von Krämpfen, Austrocknung oder Schmerzen. Füße und Schultern locker, na ja, sagen wir mal: in Grenzen halt. Alles okay. Nur mein rechter Arm ist etwas länger geworden, habe ich das Gefühl. Er trägt seit Stunden die Kamera mit. Langsam wird sie etwas schwer. Nicht mehr so einfach wie anfangs ist es auch mit der Kamera an den Verpflegungsstellen. Nur nicht nass machen oder fallen lassen!
Vielleicht funktionieren ihre Beine nicht mehr so wie Suse es sich wünscht bei km 80, jedoch eine andere Sache funktioniert plötzlich gut: Bruchrechnen. 4/5tel der Strecke sind vorüber, sagt sie. Wieder waren die letzten 2 km etwas zäh für mich, Rhythmuswechsel Nr. 3 oder 4, und schon geht es bald wieder. Interessant, dieses Auf und Ab in den Beinen. Meine Oberschenkel grüßen etwas vom zu schnellen Bergab, doch zum Glück nur leicht. Ich bin wachsam. Für eine Stunde gesellt sich immer wieder ein Läufer zu uns, was für uns diesmal jedoch nicht unbequem ist. Mal läuft er 50m vor uns, mal 50m hinter uns. Irgendwann gleitet er allmählich nach vorne weg. Fein, wenn er besser drauf ist. Auf einer langen Geraden leicht bergauf passiert das hier von vielen Läufern Gefürchtete: ein Hund läuft uns nach, bellt und verfolgt uns 100m. Wir sind gerade zu dritt. Die beiden weichen schnell auf die andere Straßenseite. Ich rede mit dem Hund, ein großer gut gepflegter, und er bleibt zum Glück zurück. Unglaublich, was wir da machen, stundenlang geradeaus laufen? Das glaubt einem doch keiner, sage ich. Seit Stunden erwarten wir jeweils nur noch das nächste km-Schild. Jetzt muss km 85 aber endlich kommen. Stattdessen haben wir hier ein typisch, mir etwas zu streng riechendes Fischgeschäft direkt neben der Strasse. Ich denke eine Sekunde an Asterix und den Fisch-Gallier.
Alles müsste jetzt auf einen Schlag beendet sein. Das wäre genial. Ist aber nicht so. Unendliche Welten und Weiten, bis irrrgendwann km 90 kommt. Jede Verpflegungsrast ist eine willkommene Abwechslung unseres dahin treibenden Asphaltlebens. Hier fühlen wir uns aufgehoben, verstanden, man ist mit uns. Ansonsten ist unser Leben sehr gleichförmig: die Strasse, auf Autos aufpassen, keine falschen Bewegungen machen, um keinen Krampf zu riskieren. Trinken was eben noch geht, auch wenn ich keine Lust mehr habe. Und essen. Ich kaue schwerfällig auf einem Stück Brot, wie ein alter Mann. Ohne Flüssigkeit kriege ich es nicht runter. Gut, dass ich eine Flasche Nestea mitgenommen habe. Das Schild Km 90 missdeute ich, wir laufen gerade mitten durch eine Ort. Ich bin nicht mehr voll aufmerksam, und suche auf der falschen Straßenseite etwas zu Trinken und Essen. Doch was ich dafür halte ist nur ein Straßenhändler mit seinem aufgebauten Tischchen. Zum Glück reicht man mir – etwas wagemutig und spektakulär - eine Wasserflasche durch den fließenden Verkehr herüber. Essen will ich jetzt nichts mehr. Ich kann nicht mehr. Zum Trinken zwinge ich mich fast. Habe auch dazu keine rechte Lust mehr und nehme nur zwei Schluck aus der Mineralwasserflasche. Weg damit, zu viel Kohlensäure. - Mei, nichts ist mir mehr Recht. Suse mindestens ebenso. Es wird langsam kühler, unsere Schatten werden lang. Hätte ich doch mehr trinken sollen? Es sind immerhin noch 10 km. Ab hier kenne ich die Strecke, bin vor 3 Tagen hier gelaufen. Aber viel Motivation gibt mir das auch nicht. Im vorletzten Ort Capaci werden wir von der Hauptstrasse in eine Nebenstrasse gewunken. Wenigstens eine Einbahnstrasse, denke ich. Sie ist aber ebenso voller Autos, eng an eng. Km 92, der schnaubende Kerl, der sich vor 4 Stunden schon einmal an uns gehängt hatte, will an Suse vorbei ziehen. Doch in einem 1 km langen Sprint lässt sie dies nicht zu, da es zufällig gerade wieder bergab geht. Normalerweise mache ich so etwas nicht mit, aber okay, gehe ich mit. Suse zieht daraus Motivation. Kurz darauf winkt man uns an einer Kreuzung in die entgegen gesetzte Himmelsrichtung. Wir glauben, da stimmt was nicht. Aber die Pfeile auf dem Asphalt zeigen ebenfalls dorthin. Es wird eine Schleife sein, beruhige ich Suse. Und so ist es. Die Verwirrung weicht wieder.
Langsam wird es dunkel. Verbindendes Schweigen zwischen uns. Suse verliert die Motivation immer wieder. Wir haben auf einmal einen netten jungen Läufer aus dem Publikum neben uns, der uns 3 km durch die Uferstrasse über den unebenen Weg begleitet. Danke. Km 95, ich habe keine Lust mehr auf trinken oder essen, ein Schluck und weiter. Ich bemerke den dicken klaren Vollmond am dunkeln Himmel und sage es zu Suse, die sichtlich etwas kämpft. Aber sie antwortet noch. Wieder einmal gehen wir ein Stück, und noch einmal, und auch die 1km lange Steigung zu „unserem“ Ostello bei km 99 hoch. Mr. Schnauber zieht jetzt wacker doch an uns vorbei. Suse interessiert es nicht, es geht ja bergauf. Ich sage zu meiner Laufkameradin: „Wir laufen unser Leben, er seines. – Leben und leben lassen.“ Es ist schon eine halbe Stunde dunkel und die Autos rasen eng und blendend an uns vorbei auf unserem vorletzten Kilometer. Ich kann den Boden auf dem wir laufen nicht sehen. Unser Guide winkt die Autos ab, doch es nützt nicht viel. Danke dennoch.
Endlich sind wir oben. Suse wird ein letztes Mal von ihrer Bergab-Lust getrieben, vorbei am Ostello und auf die uns so gut bekannte Strecke ins Dorf Sferracavallo runter. Jetzt geht es endlich ins Ziel auf der engen Strasse mit den parkenden Autos. Aber das ist jetzt egal. Im Ziel
Weil wir schnell auskühlen suchen wir einen Platz in einem der beiden Zelte. Ich will endlich sitzen, Suse sich ablegen. Und das tun wir mit einem Stück leckere lockende dicke Pizza. Vierfache Auswahl, daneben Pasta mit Thunfisch, Obst, Wasserflaschen. Und schon wieder dieser Tee. Na gut, bevor ich Wasser trinke. Ich muss heute mehr als 10 Liter davon getrunken haben. Ich fülle damit meine leeren Wasserspeicher langsam auf, kaue die schwere, aber leckere Pizza gut. Kauen ist nicht so einfach mit 100 Jahren. Suse bekommt ihre erste Massage des Lebens, wirklich verdient, und ich folge kurz danach. Mein Masseur ist genial, einfühlsam und drückt nicht zu fest. „Tu sei un angelo“, sage ich zu ihm. Er massiert auch meine Füße ein bisschen und meinen etwas geplagten Rücken. Erstaunlich, wie gut alles durchgehalten hat. Ein italienischer Tenor klingt draußen während meiner langen Massage. Sì, das passt jetzt einfach perfekt. Im Hintergrund höre ich, wie immer wieder ein Läufer ankommt. Ich verlasse das Massagezelt und ich freue mich darüber, dass ich wieder recht fit bin und normal gehen kann. Abba singen „Dancing Queen“, na wie passend. Ich habe spontan Lust zu tanzen und wippe und hüpfe etwas mit den 3 Animateur-Tänzern zum fetzigen YMCA-Song. - Tanzen? Na, wer hätte das vor einer halben Stunde gedacht? Der Tag danach Ich bin wieder im Ostello. Diego, mein 55-jähriger, sehr angenehmer Zimmergenosse ist bereits wach und geht leise zum Frühstücken 1 km nach Sferracavallo in den Ort. Er scheint gut gehen zu können. Ich mache vorsichtig die Augen auf. Nach dem etwas unbequemen Einschlafen (wie soll ich meine Beine legen???) habe ich doch gut geschlafen. 10 Stunden lang.
Schon jetzt am Morgen packt mich der Humor wieder: mal sehen, wie das heute ist, was noch alles funktioniert? Aha, meine Füße sind ganz brauchbar, nichts zwickt beim Auftreten, nur müde sind sie. Und nicht mehr heiß. Na, prima. Keine Blasen, erstaunlich. Und mein Rücken? Geht auch ganz gut, wenn auch opamäßig steif. Nur die Oberschenkel brennen etwas. Na, wenn das alles ist, dann passt’s schon. Für einen rüstigen Hundertjährigen nicht schlecht, denke ich mir, und bin froh das erleben zu dürfen. Das Treppensteigen und Aufstehen/Hinsetzen geht mit 100 halt etwas schwer. Es zwickt hint und vorn. Wenigstens kann ich alleine von der Bank aufstehen! Na super. Und ich kann mich ohne fremde Hilfe an- und ausziehen! Meine müden Knochen... – Aber schon jetzt bemerke ich: all das wird stündlich besser. Welch ein Glück, einmal steinalt zu sein für einen Tag!
|
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Mehr Infos auf der Webseite des Laufs Weitere schöne Fotos hier (Teil2) Zu Suses eigenem Bericht |
|
|||||
zurück zur Startseite "Team Bittel" / Impressum |
Für die Richtigkeit der Angaben übernehmen
wir keine Haftung. Copyright © 2001 / 2014 team-bittel.de Alle Rechte
vorbehalten. Ausgewiesene Warenzeichen und Markennamen gehören ihren jeweiligen
Eigentümern. 2. Nutzung und Weitergabe personenbezogener Daten: Soweit Sie uns personenbezogene Daten zur Verfügung gestellt haben, verwenden wir diese nur zur Beantwortung Ihrer Anfragen, zur Abwicklung mit Ihnen geschlossener Verträge und für die technische Administration. Ihre personenbezogenen Daten werden an Dritte nur weitergegeben oder sonst übermittelt, wenn dies zum Zwecke der Vertragsabwicklung erforderlich ist, dies zu Abrechnungszwecken nötig wird oder Sie zuvor eingewilligt haben. Sie haben das recht, eine erteilte Einwilligung mit Wirkung für die Zukunft jederzeit zu widerrufen. Die Löschung der gespeicherten personenbezogenen Daten erfolgt, wenn Sie Ihre Einwilligung der Speicherung widerrufen, deren Kenntnis zur Erfüllung des mit der Speicherung verfolgten Zwecks nicht mehr erforderlich ist oder deren Speicherung aus sonstigen gründen unzulässig ist. 3. Auskunftsrecht: Auf schriftliche Anfrage
informieren wir Sie gern über die zu Ihrer Person gespeicherten Angaben. |