Team Bittel
 

06.09.2008 - Der Junfrau Marathon und meine Woche zuvor im Berner Oberland  

Autor:  MartinJansen   E-Mail: MartinJansen2000@yahoo.de
Letzte Änderung: 03.10.2008 00:57:10

Gewöhnliche schreibe ich an Freunde und Arbeitskollegen Emails von meinen Reisen aus dem Urlaub. Diesmal ging die Email einigen nicht weit genug. So ist dieser Bericht aus dem Gedächtnis entstanden.
Jungfrau-Marathon 2008
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So, 31.08.2008 Ankunft

Gegen 12h treffe ich in Interlaken ein und suche erstmal lange nach einem Parkplatz. Ohne einen Schweizer Franken in der Tasche kann ich mich nicht mal kurz am Bahnhof hinstellen. Bei einer Tankstelle treffe ich Bernd und er bietet mir einen Platz bei sich vor dem Haus an. Da er am Ortsrand wohnt, muss ich zwar immer den ganzen Ort durchqueren, wenn ich etwas aus dem Auto brauche, aber dafür ist es kostenlos. Glück muss man haben. Die Höhenstrasse durchläuft als Hauptverkehrsstrasse den Ort und verbindet die beiden Bahnhöfe Interlaken Ost und Interlaken West. Der Haupttreffpunkt in Interlaken ist die Höhenmatte, eine grosse Wiese, die einerseits als Promenade dient und auf der andererseits die Paraglider landen. Auf der anderen Seite liegen die grossen, alteingesessenen Nobelhotels. Von hier kann man bei gutem Wetter den gewaltigen Jungfraugipfel sehen. Interlaken ist bereits eine Woche vor dem Marathon vorbereitet. Alle Laternen an der Höhenmatte sind mit Blumen geschmückt und am Mast hängen die Konterfeis der Sieger des legendären Rennens.
Da meine Vorbereitung durch den Schweden-Aufenthalt unterbrochen wurde und die letzten Wochen eher durchwachsen waren, weiss ich nicht wirklich, wo ich stehe. Noch sehe ich dem Rennen positiv entgegen, ich will es geniessen und vor dem Zeitlimit ankommen. Nach dem Check-In im Hostel mache ich noch einen kurzen Lauf durch den Vorort Unterseen Richtung Nordwest. Das Wetter ist sommerlich warm und sonnig. Bereits nach knapp 1km geht es auf dem Wanderweg steil bergan und ich bin aus der Puste. Ich wandere weiter bergan, immer auf die grossen Steine achtend, an denen man sich verletzen könnte. Nach 30 Minuten kehre ich um, erfrische mich an einer Quelle und laufe Richtung Hostel zurück.

Mo, 01.09.2008 erste Wandertour

Aus dem Buch "Berner Oberland" habe ich mir verschiedene Touren herausgesucht, die man machen könnte. An diesem Tag habe ich mich für die Touren 4 und 5 entschieden, rauf zum Harder Kulm und dann zum Augstmatthorn. Das Wetter ist ziemlich schlecht. Es ist stark bewölkt und regnet immer wieder. Zum Harder Kulm geht es immer bergan und ich komme mit meinen 5kg Gepäck dank meiner Stöcke gut voran. Nach 3h bin ich oben und schlage die angegebene Wanderzeit um 30 Minuten. Von der Aussichtsplattform kann man leider gar nichts durch die Wolken sehen. Bei schönem Wetter muss die Ausicht toll sein. Also laufe ich weiter Richtung Augstmatthorn. Immer auf dem Bergkamm weiter. Einge Stellen sind glatt und matschig. Zweimal sehe ich aus der Ferne eine Gemse. Sie sehen mich auch und erstarren in ihrer Bewegung. Reissaus nehmen sie jedoch nicht, da ich weit genug weg bin. Das Augstmatthorn hat noch einen vorgelagerten Gipfel, den Sigguwirt. Schon beim Näherkommen sehe ich die Berner Flagge auf dem Gipfel. Nun wird der Weg sehr schmal und mir ist etwas mulmig zumute. Nach einer kleineren Kraxelei geht es weiter auf einem schmalen Berggrad Richtung Gipfel. Doch plötzlich steht genau auf dem Weg eine 10-köpfige Steinbockgruppe. So steht man sich ein paar Minuten Aug in Aug gegenüber. Ich mache ein paar Erinnerungsfotos und überlege, was ich machen soll. Da auch zwei kleine Jungtiere dabei sind, steige ich einige Meter ab und hoffe, dass die Tiere verschwinden. Doch man glaubt es nicht - sie kommen mir nach. Unfassbar, die Neugierde ist stärker als die Angst! Also trete ich den Rückzug an und gehe ohne Gipfelerfolg Richtung Habkern. Der Weg zieht sich bis ich endlich am Bahnhof in Habkern ankomme. Gute 8 Stunden war ich unterwegs und unterhalte mich in Habkern noch angeregt mit zwei Schweizer Mountainbikern, bevor mich der Bus zurück bringt.

Di, 02.09.2008 zweite Tour

Das Wetter ist top und so sitze ich bereits um 8h im Zug von Interlaken Ost nach Grindelwald. Das Besondere an dem Zug ist, dass er aus 4 Waggons besteht. Am übernächsten Bahnhof trennt sich der Zug und die ersten zwei Waggons fahren nach Lauterbrunnen und die hinteren zwei nach Grindelwald weiter. Um diese Uhrzeit ist der Zug noch recht leer, lediglich ein älteres englisches Ehepaar und ein Japaner sind noch da. Keine Wolke ist zu sehen und gespannt verfolge ich die Aussicht, die sich mir bietet. Bald werde ich den Eiger also hautnah erleben, von dem ich bereits so viel gelesen haben. Insbesondere Heinrich Harrers Buch "Die weisse Spinne", ein Klassiker der Bergliteratur, ist mir noch gut in Errinerung. Und so stehe ich dreissig Minuten später wirklich im berühmten Bergort Grindelwald. Auf der Übersichtskarte vom Tourismusbüro habe ich mich für eine lange Rundtour entschieden, die mehrere Wege miteinander verbindet und von Ost nach West läuft. Los geht es mit der Eiger-Gletschertour. Durch das Örtchen Grund führt der Weg und danach geht es steil bergan. Immer den rot-weiss-roten Markierungen (Bergweg) folgend, geht es in Serpentinen aufwärts. An einigen Stellen geht es am Abgrund entlang und an einer Stelle hilft eine Leiter beim Aufstieg. Da man durchschauen kann, wird mir etwas mulmig zumute und ich bin heilfroh wieder festen Boden zu spüren. Wenn man hier fällt, kann das böse enden und direkte Hilfe ist auch nicht da. Lediglich ein älterer Herr wandert auch noch durch die Gletscherschlucht. Der Grossteil dieser Tour verläuft im Schatten, da die Sonne noch tief steht und die Berggiganten der Sonne im Weg stehen. Endpunkt der Gletscherschluchttour ist Alpigeln, doch ich biege schon vorher ab auf den Eiger-Trail, der direkt an der Eiger Nordwand entlangführt. Hoch und kalt steht die Wand da. Leider sind keine Kletterer in der Wand, so dass die Dimensionen verschwimmen. Ich bin leicht ergriffen als ich vor der "Wand der Wände" stehe und versuche mir die ganzen Dramen vorzustellen, die sich hier insbesondere in den 1930er Jahren abgespielt haben. Die Leiche des italienischen Bergsteigers, der 2 Jahre tot am Seil in der Wand hing, bleibt unvergessen. Am Übergang zum Mönch steht eine Schautafel, die einige Stellen (z.B. Todesbiwak, Schwalbennest, Bügeleisen Weisse Spinne usw.) darstellt. Beim heutigen Kaiserwetter wirkt der Berg freundlich. Von Steinschlägen, Wetterumschwüngen und brüchigem Fels ist nichts zu merken. Am Ende des Weges gehts es nochmal Teil bergauf und ich erreiche den Eigergletscher (ca. 2.300m). Hier wird auch der Marathon langgehen. Erst jetzt spüre ich wie stark die Sonne ist und dass mein Gesicht schon spannt. Schnell trage ich Sonnencreme auf, um es nicht noch schlimmer zu machen.
Am frühen Nachmittag folge ich dem Weg Richtung Kleine Scheidegg hinab. Hier laufen die ersten Vorbereitungen für den Marathon. Das Ziel ist schon beflaggt und die ersten Absperrungen werden angebracht. Mit gemischten Gefühlen laufe ich weiter. Werde ich es in 5 Tagen bis zum Zielband schaffen? Was wird das für ein Gefühl sein? Noch kann ich es mir nicht vorstellen und so laufe ich weiter hinab nach Wengen. Der berühmte Skiort mit der legendären Lauberhorn-Abfahrt ist mein nächstes Zwischenziel. Der Wanderweg geht nun nur noch leicht bergab. Auf der anderen Seite der Schlucht zeigt sich nun das gewaltige Jungfraumassiv von seiner Schokoladenseite. Die Sonne strahlt auf die vereisten Flanken im hellsten Weiss, dass es fast in den Augen wehtut. Eine Läuferin hechelt den Berg hoch. Wer weiss, wo sie losgelaufen ist und wieviele Höhenmeter hinter ihr liegen? Als ich Wengen gegen 16h erreiche, schmerzen meine Knie vom Abstieg. Bis Lauterbrunnen ist es noch eine Stunde. Hier wartet endlich die Bahn auf mich, um mich nach Interlaken zurückzubringen. Ich schaue nochmal zurück, denn die Wegweiser geben an, dass hier auch die Laufstrecke lang führen wird. Meine Gefühle sind gemischt. Es wird bis zum Eigergletscher nur bergan gehen, keine flachen Strecken zum Erholen. Solche Begebenheiten konnte ich im Training natürlich kaum nachstellen. Die Höhendifferenz zwischen Wengen und Lauterbrunnen ist enorm. Nun geht es richtig steil berab. Mir ist warm, ich bin erschöpft und beim Abstieg schmerzen meine Gelenke. Einem Amerikaner geht es noch schlechter, denn er setzt sich einfach nur noch an den Wegesrand. Nun kommen mir ernsthafte Zweifel am gesamten Vorhaben. Hier wird die Strecke so verdammt steil sein, dass einem alles vergeht.
Um 17.30h kommt endlich der Zug und bringt mich erschöpft zurück zum Urlaubsort. Die Wetteraussichten für die nächsten Tage sind eher durchwachsen.

Mi, 03.09.2008 dritte Tour

Wider Erwarten ist das Wetter schön. Heute ist mein letzter Wandertag und ich entschliesse mich für die Schnydigge Platte. Das heisst zuerst geht es mit dem Zug nach Wilderswil. Das ist lediglich eine Station. Hinter der alten Kirche beginnt der Weg und es geht ununterbrochen bergan. Natürlich bin ich der einzige Wanderer, der sich das antut. Auch wenn meine Beine von den vorherigen Strapazen müde sind, komme ich gut voran. In den höheren Regionen kann man das Panorama bewundern. Tief im Tal liegt Interlaken. Umrahmt vom Thuner und Briezer See erstrahlt es in der Sonne. Dahinter sieht man den Harder Kulm und ich kann mit meinem Fernglas die Flagge auf dem Sigguwirt erkennen. Da war ich also vor 2 Tagen bei schlechtem Wetter unterwegs. Ich komme an eine Lichtung. Leider ist hier ein Wegweiser falsch gesetzt. Er zeigt auf eine Kuhwiese. Also klettere ich über den Zaun und folge dem in die Wiese getretenen "Weg". Irgendwann merke ich, dass ich falsch sein muss und versuche querfeldein wieder zurückzukommen. Dabei stosse ich schliesslich auf den richtigen Weg! Puh, da bin ich erleichtert. In den dreissig Minuten seit ich falsch abgebogen bin, habe ich gerade mal 200 Höhenmeter geschafft. Naja, nun geht es wieder schneller. Noch eine Stunde Anstieg und ich erreiche die Schnydigge Platte zur Mittagszeit. Hier sind einige Leute unterwegs, die mich mit der Bimmelbahn überholt haben. Hier oben hat man eine tolle Aussicht! Nur kleine Wolken sind am Himmel sichtbar. Ich laufe auf dem Panorama-Rundweg weiter. Zuerst muss noch ein Hügel erklommen werden. Er stellt für mich kein Problem da. Ich merke, dass ich schon besser akklimatisiert bin als am Montag. Oben an der Hütte steht ein Alphornbläser und zeigt sein Können. Ich setze mich in die Sonne und geniesse das Drumherum. Auf dem weiteren Weg erklimme ich noch eine Anhöhe mit Aussichtsplattform. Hier ist der höchste Punkt der näheren Umgebung. Was jetzt noch fehlt sind die angekündigten Murmeltiere. Doch sie lassen sich nicht sehen.
Mir ist klar, dass ich unmöglich den ganzen Weg nach Wilderswil wieder absteigen möchte. Also zahle ich den Wucherpreis für die Bimmelbahn, die mich wieder ins Tal bringen soll. Die historische Bahn scheint es schon 100 Jahre zu geben und genauso nostalgisch ist auch die Fahrt. Harte Holzbänke und ein Schneckentempo legt die Zahnradbahn an den Tag, so dass sich die Abfahrt ewig zieht. Das nervt ziemlich.

Do, 04.09.2008 Ruhetag

Jetzt heisst es nur noch die letzten 2 Tage herumzukriegen und zu hoffen, dass sich der Körper bis zum Start komplett erholt. Das Wetter ist schlecht und meine Gemütslage eher unten. Ich komme mir vor, als wäre ich hier fehl am Platz. Kann die Vorbereitung gereicht haben? Mein Ziel ist nur noch: nicht Letzter zu werden. Zum Ablenken spaziere ich durch die Nachbargemeinden und schaue mir Kirchen und Ruinen an. Am Abend schaue ich mir das Tell-Spiel auf der Freilichtbühne an. Da Kindertag ist, ist es ziemlich laut, aber während der Vorstellung geht es einigermassen. Nun kenne ich auch die Geschichte des Schweizer Freiheitskämpfers genau.

Fr, 05.09.2008 Marathonmesse

Noch ein Tag bis zum Rennen. Ich mache ein paar Besorgungen und begebe mich zur Höhenmatte. Hier ist im Festzelt die Marathonmesse und die Startnummernausgabe. Ich schaue mir die neuesten Kreationen auf der Messe an. Bei Credit Suisse kann man sich seinen persönlichen Laufplan ausstellen lassen. Ich nehme mir einen vorgefertigten für 5:30h mit, auch wenn sich an meinem Ziel nichts verändert hat. Meine Startnummer 4143 bekomme ich in einem schicken Beutel. Draussen mache ich es mir in der Sonne gemütlich und inspiziere den Beutelinhalt. Meine erste internationale Startnummer inklusive Deutschland-Fahne auf der Startnummer.
Just in dem Moment beginnt eine Bollywood-Produktion mit ihren Aufnahmen auf der Höhenmatte. Andere Länder, andere Sitten kann ich da nur sagen. Am Nachmittag beginnen die Kinderrennen (200m - 1600m) und ich hole mir ein Autogramm vom Vize-Olympiasieger Marco Mavulli (Bahnradfahren). Dann beginnt auch schon die Pasta-Party im Festzelt. Es werden Videos aus 2007 gezeigt, die Spitzenleute vorgestellt und der Wetterbericht gegeben. Kurz nach 20h werden die Läufer entlassen. Um 9h ist der Start und jeder soll ausgeruht antreten. Im Hostel ist Zimmer 15 noch leer als ich ankomme. Meine Forderung bei offenem Fenster zu schlafen wird akzeptiert. Heute schläft ein weiterer Läufer über mir. Er will bereits um 6h aufstehen.


Sa, 06.09.08 der grosse Tag

Die Nacht war sehr unruhig. Ich hatte Angst Wadenkrämpfe zu kriegen und so war der Schlaf sehr unruhig. Glücklicherweise bleibe ich von Problemen verschont. Ich lasse ein Foto von mir machen. Zum Frühstück esse ich Vollkornbrot mit Boullion und Banane. Um 8h geht es zum Startbereich. Hier sind schon viele Läufer auf den Beinen. Mein Gepäck gebe ich beim "5:30h-LKW" ab. Von dort gehen alle Rucksäcke und Taschen zum Bahnhof Interlaken Ost, mit dem Zug nach Grindelwald und dann mit der Bergbahn zur Kleinen Scheidegg. Ich laufe mich noch leicht ein und höre die neuesten Wetterinfos: anfangs schön, ab 14h kommt im Zielbereich eine Kaltfront mit Regen. Ich starte dennoch wie geplant mit T-Shirt und kurzer Hose. Kurz vor 9h wird die Schweizer Nationalhymne gespielt und nach drei Böllerschüssen geht es los! Ich versuche nicht zu schnell anzugehen. Das Rennen ist extrem lang und wird ja erst im zweiten Teil richtig hart. Zuerst geht es in einer 3-km-Runde durch Interlaken. Bereits nach 800m gibt der erste Eliteläufer aus Australien auf. Die Topläufer haben blaue Startnummern fallen entsprechend auf. Es wird einer von zwei Topläufern sein, die ich während des Rennens sehe.
Die ersten km gehen dahin. Ich laufe ca. 5:50min pro km. Das Wetter ist warm und es geht ein leichter Wind. In den kleinen Ortschaften ist der Teufel los, ansonsten ist es ruhig. Unter unzähligen "Hopp, hopp"-Rufen laufe ich als Teil der grossen Masse Richtung Berge. Alleine in Wengen sollen 12.000 Holzrasseln verteilt worden sein. Ich versuche mein eigenes Rennen zu laufen und lausche bei den Gesprächen anderer Läufer. Hinter Wilderswil (km 11) kommt ein erster knackiger Anstieg. Einige Leute gehen schon, aber ich komme noch laufend voran. Aus den vorbeifahrenden Zügen jubeln die Fahrgäste uns zu, ich winke zurück und fühle mich gut. Dann wird es wieder flacher und so langsam kommt Lauterbrunnen in Sicht. Hier ist am Bahnhof bei km 19,6 und 2:20h der erste Kontrollpunkt. Da bleibe ich sicher drunter. Lauterbrunnen ist proppevoll, hier herrscht Jahrmarktsstimmung. Netter Nebeneffekt: knapp 30m vor mir läuft ein Junge im Höhlenmenschkostüm inklusive Perücke und Plastikkeule. Der zieht natürlich alle Blicke auf sich und es ist angenehm zu beobachten, wie sich die Leute amüsieren und positiv reagieren. Den Halbmarathon laufe ich in 2:15h. So langsam wird es ernst. Es geht noch eine flache Runde durch das Tal an den Trümmerwasserfällen vorbei und dann wird es richtig übel steil. Bei km23 bekomme ich ein erstes Ziehen in den Waden. Oh oh, jetzt bloss keine Krämpfe. Ich nehme Tempo raus und die Sache geht gut. Nun geht es steil bergan. Erste Läufer sitzen oder stehen am Strassenrand und dehnen ihre Beine. Hier ist es so steil, dass jeder geht. Ich überhole auf den Serpentinen viele Läufer. Das schnelle Gehen am Berg bereitet mir keine Probleme. Es ähnelt im weitesten Sinne ja auch den Wanderungen, die ich zu Beginn der Woche gemacht habe, nur halt mit Stöcken. Während des Anstiegs treffe ich auf Stephan, den 6:00-h-Pacemaker. Er hat einen ganzen Pulk im Schlepptau. Er trägt schon eine Menge Verantwortung. Nach einem kurzen Gespräch lasse ich ihn stehen, lege etwas zu. So geht es immer weiter bergan und ich bin heilfroh als es endlich wieder flacher wird.
An jeder Verpflegungsstelle nehme ich reichlich Flüssigkeit und Futter zu mir. Insbesondere die warme Bouillion ist mein Geheimtipp. Zusätzlich habe ich einen Trinkgurt und eine 0,5l-Flasche dabei, um mich unterwegs zu versorgen.
Da ich früher auch immer mit Flasche oder Walkman in der Hand trainiert habe, behindert sie mich im Rennen nicht. In Wengen sind die Massagezelte schon voll. Mir geht es noch gut, doch viele sind viel zu schnell angegangen. Für sie wird es ein langer Nachmittag werden. Der Besenwagen rückt unaufhaltsam näher und es geht noch knapp 10km bergauf.
Die Zuschauer in Wengen tun mir etwas leid, denn sie sehen nur noch wandernde Leute. Es ist einfach zu steil zum Rennen. Dennoch gibt es nur aufmunternde Worte. Bereits seit km26 kommen die Streckenangaben alle 250m. Alles andere wäre zu frustierend, da man sonst wahrscheinlich das Gefühl hätte, gar nicht voran zu kommen. Bei km35 überhole ich den Höhlenmenschen endgültig. Er ist platt. Beim Überholen rufe ich ihm noch einen netten Spruch zu: "Heute Abend essen wir den grössten Saurierburger, den wir kriegen können. Keine Gels oder Riegel mehr!" Der Himmel ist nun stark bewölkt, die Kaltfront kündigt sich an. So laufen die Km dahin. Zwischendurch habe ich immer wieder gerechnet, dass ich es nun auch mit Gehen noch vor dem Zeitlimit schaffen müsste. Ich kann das Ding hier wirklich knacken! Schliesslich kommen wir an die berüchtigte Moräne. Nebel zieht auf und einer der beiden Abzweige wurde vom Veranstalter gesperrt. Deshalb kommt es hier zum Stau. Überholen wird fast unmöglich, einmal drängele ich mich noch vor und dann beuge auch ich mich dem Schicksal. Mann, ich kann schneller. "Gebt Gas" möchte den müden Leidensgenossen zurufen. Wir können nur noch 30 Meter weit gucken. Ursprünglich sollten alle Zieleinläufe im Internet veröffentlicht werden. Der Nebel macht das nun unmöglich. Es wird nochmal richtig steil. Mein Rücken schmerzt von den knüppelharten Steigungen. Bei km41 hat die Plackerei ein Ende. Es gibt Schokolade und nach einer heiklen Rechtskurve über Geröll (hier stehen 2 Helfer, die zur Not beim Übersteigen helfen) wird es wieder breiter. Dann lege ich den Schalter um. Befreit von der Last und siegessicher gebe ich Vollgas. Die letzten zwei Hügel fliege ich hoch und fange schon an zu jubeln. Einige Zuschauer schauen verwundert. Ich lasse auf dem letzten Teilstück über 30 Leute hinter mir. "Jetzt bloss nicht noch stürzen" ist mein letzter Gedanke. Mit Vollgas geht es jubelnd über die Ziellinie. Das Adrenalin spült alle Strapazen weg. Ich könnte die ganze Welt umarmen. Die Finishermedaile ist der gerechte Lohn. Unfassbar, ich habe es tatsächlich geschafft! 5:43h lautet die magische Zahlenfolge. Nach einem Erinnerungsfoto hole ich mein Finisher-T-Shirt ab. Die ganze Welt soll sehen, was ich hier geleistet habe.
Die Rückfahrt nach Interlaken zieht sich gewaltig. Im ersten Zug muss ich stehen, doch im zweiten darf ich dann endlich sitzen. Die Medaile baumelt um den Hals und ich versuche alles zu verarbeiten. Meinen Beinen geht es unverständlicherweise gar nicht mal schlecht (bereits am nächsten Tag gehe ich eine anspruchsvolle Tour mit 10kg Gepäck im Mattertal). Abends im Festzelt klingt die Veranstaltung aus. Es gibt bereits ein Video vom Tage zu sehen und abschliessend die grosse Siegerehrung für die Besten. Ich bin mir sicher, das kann der Beginn von etwas Grossem sein. Solange ich fleissig bin und der Körper mitspielt, wird das nicht mein letztes Rennen gewesen sein!

Grüezi von Martin Jansen.
 
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