Team Bittel
 

13.11.2004 - Sondershäuser Kristall-Lauf  

Autor:  RainerLingemann   E-Mail: rainer.lingemann@t-online.de
Letzte Änderung: 02.05.2005 00:24:57

Schon eine verrückte Idee, 700m unter der Erde zu laufen!
Hallo Läufer!


Wie kann man nur auf so eine verrückte Idee kommen, in einem Kalibergwerk, 700 Meter unter der Erdoberfläche, an einer Laufveranstaltung über 10 Kilometer teilzunehmen? Diesen Gedanken glaubte ich bei fast jedem im Gesicht zu lesen, dem ich von meinem Vorhaben erzählt habe. Ich wiederum war total begeistert von der Idee, hab´ mir über das Wieso und Warum weiter keine Gedanken gemacht und bin einfach mit meiner sportlichen Betreuerin und Ehefrau zu diesem Ereignis im Brügmanschacht nach Thüringen gefahren.

Natürlich hatte ich mich vorbereitet. Google hat mich mit Laufberichten aus dem Internet versorgt. In der Burgdorfer Bücherei fand ich Artikel über vorgeschichtliche Meere und über die Entstehung von Salzlagerstätten. Schon bald wusste ich, dass die Barrentheorie kein Unterrichtsfach für Barrenturner ist und auf welche ungewöhnliche Weise Salzstöcke entstanden sind.

Um ganz entspannt am Lauftag anzutreten, sind wir schon am Freitag die 176 Kilometer von Hänigsen (Region Hannover) nach Sondershausen gefahren. Dadurch hatten wir auch die Möglichkeit schon am Nachmittag in den Schacht einzufahren und an einer dreistündigen Besichtigungsfahrt, einschließlich Laufstreckenbefahrung, teilzunehmen.
Mit acht weiteren Bergwerksbesuchern wurden wir auf der Pritsche eines Kleintransporters etwa 20 Kilometer durch ein endloses, finsteres Labyrinth von Gängen gefahren. Insgesamt sind heute noch 300 Kilometer befahrbar, früher waren es einmal 500 Kilometer. Die Grubenräume befinden sich zwischen 400 und 1050 Metern Tiefe, für Besucher werden aber nur Strecken zwischen 500 und 700 Metern befahren. Zu DDR-Zeiten arbeiteten 3000 Beschäftigte über und unter Tage in diesem Betrieb. Seit 1991 werden im Brügman-Schacht Kalisalze nicht mehr abgebaut. Das Unternehmen wird in verschiedenen anderen Bereichen weitergeführt, von denen das Erlebnisbergwerk ein Betätigungsfeld ist.

In 680 Metern Tiefe hat man in den 90er Jahren einen Konzertsaal mit 300 Plätzen in den Berg gefräst. Noch heute kann man in einem Festsaal mit 60 Plätzen feiern, der bereits im Jahre 1908 von Fürst Carl Günther von Schwarzburg Sondershausen und Herrn Brügman eingeweiht wurde. Neben dem 10-Kilometer-Lauf im November und dem Marathon im Dezember wird jährlich ein Mountainbikerennen veranstaltet, das angeblich bis 2006 schon ausverkauft ist.
Der Bergmann, der uns durch diese dunkle Unterwelt transportiert hat, verfügte neben seinem Kenntnissen über den Bergbau auch über ein gründliches Wissen über die Entstehungsgeschichte von Kalisalzlagerstätten (und traf damit mein Lieblingsthema: prähistorische Meere).

Mit dieser Einführung und gut ausgeruht habe ich mich dann am Samstag mit der ersten Gruppe von Läufern in der Schachthalle vor dem Fahrstuhl angestellt. Da kam natürlich kein glitzernder Lift angerauscht, wie man ihn von Hotels her kennt. Es ist treffender als ein Gehäuse mit zwei Etagen zu beschreiben. Ziemlich zugig, die korrodierten Stahlwände kalt, ohne Licht und nicht für jeden Läufer hoch genug. Die Tür konnte man auch nicht selber öffnen und schließen. Ein Kumpel stand am Einstieg davor, gab Glockenzeichen, bekam ebensolche zurück. Die Kommunikation funktionierte und der Förderkorb war da. Der Mann vom Schacht schob, wie ich es schon öfter im Fernsehen gesehen habe, einen Vorhang nach oben und zehn Sportler drückten sich mit Sportgepäck in eine Etage von diesem Kasten. Der Rollladen wurde geschlossen, Glockentöne gingen wieder irgendwo hin. Kurze Fahrt und zehn weitere Athleten betraten die zweite Etage. Glockensignale waren wieder zu hören und die Fahrt in die Tiefe begann. Die Stimmung war gespannt. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, ob am Ende des Schachts auch Gummipuffer stehen, falls der Fahrstuhl die 700 Meter mal ohne Seil runtersaust. Diese Idee war aber nur kurz und in den nächsten fünf Stunden hatte ich keine weiteren Sicherheitsbedenken.

Nach drei Minuten Fahrt waren wir in der richtigen Sohle angekommen und standen in einem geräumigen und hellen Gang. In kurzer Entfernung begrüßten Musiker in Bergmannstracht die ankommenden Gäste. In den Schacht war ich so früh eingefahren, weil ich möglichst viel von der Unterwelt mit der Kamera einfangen wollte. Das erwies sich aber bei den Lichtverhältnissen schwieriger als erwartet. Mit zunehmender Entfernung vom Förderkorb wurde die Ausleuchtung der Gänge sparsamer, das Blitzlicht kapitulierte vor der Weitläufigkeit der Anlage und 400 ASA brachten mich auch nicht weiter.

Die Zeit bis zum Start um 12.00 Uhr zog sich ziemlich in die Länge und ich war froh, als sich endlich die ersten Läufer unter dem Startbogen sammelten. Die Kumpel griffen zu ihren Instrumenten und spielten ein Stück. Danach kam die Durchsage, dass die Startzeit vorverlegt werden soll. Athleten kamen fix in den Startbereich gesprintet. Die Musiker spielten nun Glückauf, Glückauf, der Steiger kommt. Das war das Lied, wonach gewöhnlich der Start erfolgte. Danach wieder eine Durchsage, die in dem Getümmel kaum zu verstehen war. Es folgte Glückauf, die zweite Strophe. Dann Pause bei den Musikanten. Einige Läufer übertönten nun mit der dritten Strophe den Sprecher am Start und eh ich mich versah setzte sich das Feld in Bewegung.

Die Profis knipsten ihre Leuchte am Fahrradhelm an, ich ließ mit meiner Taschenlampe in der Hand mein "helles Licht bei der Nacht" strahlen. Auf dem ersten Stück galt es erst einmal mein Tempo und vor allen Dingen den nötigen Platz dafür zu finden. An den Start gingen 345 LäuferInnen. Zwei, maximal drei Sportler konnten auf Dauer nebeneinander laufen.
Langsam hatten sich die Augen auf die ungewohnten Lichtverhältnisse eingestellt. Alle 50 Meter erhellten Leuchtstofflampen die Strecke. Die Kalisalze um uns herum waren weiß und grau marmoriert, manchmal rotbraun durchzogen und wirkten düster. Erwartet hatte ich hellere Salze, wie ich sie aus meinem Salzstreuer her kenne. Die trockene Luft mit 30 % Feuchte und die Temperatur von 25 °C machte sich nun langsam bemerkbar. Rechts und links gingen immer wieder Strecken ab, die mit einem Flatterband abgesperrt waren. An der Wand reflektierte ein gutgemeintes Schild "Fluchtweg" vor sich hin. Ich dachte an das 300-Kilometer-Wegesytem, das zudem noch dreidimensional ist und musste schmunzeln. Die Geräusche hier unten klangen eigenartig. Gesprochen wurde nur wenig. Die Steigungen waren eine ständige Herausforderung und an den Gefällestrecken war volle Aufmerksamkeit gefordert. Auf dem festen Boden mit einer mäßigen Schicht aus lockerem Salzgranulat ließ sich entgegen den Berichten aus dem Netz gut laufen. Nur einmal kam ich in einer scharfen Kurve fast ins Schleudern. Die Temperatur machte mir nun mehr zu schaffen und ausgerechnet jetzt kam die 12-Prozent-Steigung. Die Luft schien immer dünner zu werden, obwohl der Luftdruck hier unten größer war. Die Steigung schien endlos. Immer mehr Läufer gingen. Und ehe ich mich versah, war ich auch zum Geher geworden. Der Weg war nicht überschaubar, da es neben dem Auf und Ab immer mal wieder Richtungsänderungen in der Waagrechten gab.

Als es wieder abwärts ging, versuchte ich ordentlich Tempo zu machen, um die verlorene Zeit wieder aufzuholen. Der Helm saß immer noch prima (Danke an Sonja). Ich überholte einige Läufer und war eigentlich viel zu schnell bei dieser Dunkelheit. Die Lampe gab wegen ihrer Größe nur brauchbares Licht bis maximal 1½ Meter. Das reichte natürlich nicht aus, rechtzeitig auf Bodenunebenheiten zu reagieren. Aber die Schutzheilige der Bergleute (Barbara) hatte ihren Dienst auch auf Besucher des Bergwerks erweitert und so kam bei diesem Rennen kein Athlet zu Schaden. Über so eine engagierte Mitarbeiterin, die dazu zum Nulltarif arbeitet, kann sich die Berufsgenossenschaft wirklich freuen.

Gebracht hatte die Tempoerhöhung nicht viel. Das konnte ich auf meiner Uhr ablesen, als ich mit 1:00:57 h ins Ziel einlief. Das waren rund 12 Minuten mehr als meine Normallaufzeit für diese Distanz. Dieser erhöhte Zeitbedarf scheint mir für die besonderen Anforderungen des Untertage-Laufes normal zu sein. Das ich von 321 Finishern als 161. ins Ziel eingelaufen bin, hat mich voll zufrieden gemacht. Ob es sich lohnt, einen so weiten Anreiseweg in Kauf zu nehmen, wenn man sich nicht für Kalibergwerke und vorgeschichtliche Meere interessiert, muss jeder für sich entscheiden. Für mich war es ein schönes Erlebnis an diesem ungewöhnlichen Lauf teilzunehmen.

Bedanken möchte ich mich auch noch bei den Spargelsprintern Burgdorf (Lauftreff in der Region Hannover), die mich bei meinem "Testlauf mit Fahrradhelm" ca. 10 Kilometer auf der Runde Burgdorf - Heeßel begleitet haben. Allein hätte ich mich nicht getraut, mit dem Kopfschützer durch Burgdorf zu laufen.

Bilder zu diesem Bericht gibt es bei:
www.spargelsprinter.de.vu/Sondershausen.htm
>Bilder zum Bericht gibt es hier
 
[team/fuss.htm]