Team Bittel
 

Berlin - Der Weltrekord Marathon!  

Autor:  JochenBrosig   E-Mail: Jochen.Brosig (at) yahoo.de
Letzte Änderung: 09.10.2003 15:24:49

Was einem erfahrenen Schnell-Läufer so durch den Kopf geht. Wie er sich s einteilt, plant und durchbeißt.



30. Berlin-Marathon:


Am Sonntag früh um 9.00 Uhr machen wir uns auf den Weg nach Berlin. Wir das sind: Moni, Uschi, Walburga, Helmut und ich als Teilnehmer, sowie unsere Betreuer, Fans, Motivatoren, Seelentröster und Rundumversorger: Heidi, Ansgar, Walter, Winnie und unser Coach Manfred. Die Anspannung steigt und auf der Fahrt werden alle Eventualitäten ausdiskutiert und wir lassen das Training Revue passieren. Angekommen in Berlin klappt das Abholen der Startunterlagen ohne Probleme und wir sind über den reibungslosen Ablauf doch sehr erstaunt und froh. Durch die vielen Straßensperren für den Skater-Marathon wird jedoch die Fahrt zum Hotel zur Odyssee. Letztendlich finden wir es doch. Die Vorbereitung wird schließlich mit einem vorzüglichen Essen bei einem guten Italiener abgeschlossen.

In der Nacht schlafe ich gut. Im Frühstücksraum merkt man die Spannung vor dem Start, denn wir sind natürlich nicht die einzigen Starter im Hotel. Mit unseren Begleitern werden noch kurz die KM-Stellen zum Anfeuern und die Treffpunkte besprochen und schon geht es zur S-Bahn. Aus unbekannten Gründen fahren wir eine S-Bahn-Haltestelle zu weit. Dadurch kommen Helmut und ich am Schloß Bellevue vorbei und nach zwei Pinkelpausen von vorne an den Start. Von unseren Damen hatten wir uns zwischenzeitlich getrennt. Etliche Hundert oder Tausend stehen schon in den Startblöcken.

Es ist mittlerweile 8.32 Uhr! Wo mag wohl die Kleiderabgabe sein? Wir arbeiten uns durch die Menge nach hinten durch. Längst sind wir an unserem Startblock C vorbei und noch immer nichts in Sicht. Ich werde langsam nervös. 8.40 Uhr! Wir beginnen zu laufen. Immer mehr Menschen kommen uns entgegen. Gehen Sie rechtzeitig 10 bis 15 Minuten vor dem Start in Ihren Startblock! (Herbert Steffny/Perfektes Marathontraining). Da, vor uns ein Bundeswehr-LKW! Kleiderabgabe? Nein! Die bauen schon die Feldbetten für die Massage auf. Weiter geht´s! Immer mehr Menschen kommen uns entgegen. 8.45 Uhr! Jetzt sind wir schon bei den LKWs für die Kleidersäcke der Frauen. Wie sich hinterher herausstellt, sind es komischerweise weniger als die der Männer. (Kleiner Sparwitz!). Moni kommt mir schon entgegen. Kennt die eine Abkürzung? Endlich am LKW, die Tüte abgeben und wieder ein Sprint zurück zum Start. 8.47 Uhr! Die Menschenmenge ist mittlerweile so dicht, dass alle Wege verstopft sind. Was machen? Einige klettern über die Absperrung, das ist die Lösung und quer durch den Park zu Startblock C. Puls 150 ist auch etwas mehr als ein langsames Warmjoggen. 8.52 Uhr! Wir entscheiden uns für die vorderste Reihe von Startblock D, um nicht zu schnell los zu laufen.

Der Puls geht wieder runter und ich ärgere mich noch über mich. Optimales Training, eine Form wie nie und ich mach vielleicht vorher schon alles kaputt. Jeder Marathonanfänger wird gewarnt vor dem zu schnellen Loslaufen. Wir machten es schon vor dem Start! Super! "Tolle Leistung Jochen, Du Depp" sage ich mir.

Helmut und ich sprechen noch ein letztes Mal unsere Taktik ab und schon ertönt der Startschuß: die Luftballons steigen hoch, die Menge jubelt und los geht es! 9.00 Uhr! Eine Stimmung wie auf der Erlangener Bergkirchweih. Wegen zu schnellem Loslaufen brauche ich mir heute keine Sorgen zu machen. Der erste KM in 4:40 (4:20 waren geplant). Ist in Ordnung. Langsam einrollen heißt die Devise. Schon nach 2 Kilometern meldet sich mein linker Oberschenkel. Das kann ja heiter werden. Aber erst einmal weiter, vielleicht gibt es sich wieder.

Ab KM 5 läuft es dann rund und Helmut und ich treffen ab da unser geplantes Tempo. Am Bundeskanzleramt vorbei über die Spree, und als ich die Brücke runter lauf sehe ich immer noch ein Menschenmeer. Vergleichbar mit Frankfurt kurz nach dem Start. Und das sollte sich auch nicht groß ändern. Allein läufst Du in Berlin nie. Das ist schon etwas anderes als in der Fränkischen Schweiz. Auch der Zuschauerstrom an der Seite reißt nie ab. Eine grandiose Stimmung! Berlin ist schon etwas besonderes! Doch irgendwie läuft es bei mir heute nicht so. Mein linkes Bein "muckt" zwar nicht mehr, aber ganz normal ist es auch nicht. Das sieht auch jeder, der mich bei 1:05:38 – 1:05:47 im Fernsehen (!) gesehen hat.

Den Halbmarathon absolviere ich in 1:28:30. Auf die Sekunde genau die gleiche Zeit wie letztes Jahr in München. Und es wird schwer. Was, jetzt schon? Ja, der linke Oberschenkel meldet sich wieder. Es zwickt. Wir laufen weiter, im 4:05- bis 4:10-Schnitt. Heute heißt es beißen. Kurz vor dem „Wilden Eber“ fällt Helmut das erste Mal ab. Nicht weit, nur 5 Meter, aber er bleibt das erste Mal nicht auf gleicher Höhe. Dabei dachte ich, mir wird das gleich passieren. Am „Wilden Eber“ steppt der Bär. Erst die Cheerleaders und dann geht es richtig los. Die Zuschauermassen werden noch einmal dichter. Samba-Trommeln, Trompeten, Trillerpfeifen, Tröten, Topfdeckel, Rufen, Schreien, Singen – Gänsehautfeeling pur! Ich bekomme Rückenwind, es geht plötzlich nicht mehr so schwer. Der Puls passt, mein Schnitt wurde mit 4:05 wieder schneller. O.k. dann auf zum letzten Drittel, so blase ich zum Angriff und hänge meinen Brustgurt ab.

Bei KM 30 kommt Helmut noch mal an mich ran. Aber das hat ihn zuviel Kraft gekostet, so das er bald wieder abfällt. Schade, den gegenseitigen Zuspruch hätten wir beide jetzt gebrauchen können. Und vorne spult Tergat seine Kilometer knapp unter 3:00 ab. Dahinter wir und "jagen" ihn. Bei KM 35 höre ich, er hat es tatsächlich geschafft! Weltrekord mit Ansage. Schön dabei zu sein!!! Wir müssen zu dieser Zeit knapp hinter KM 30 gewesen sein.

Meine Oberschenkel melden sich wieder. Der linke hinten, der rechte vorne. Zum Glück ist es nicht mehr weit. Ich will Cola, aber es gibt keins. Ganz weit hinten das Brandenburger Tor. Ich hasse ewig lange Geraden vor dem Ziel. Unter 3:00 h ist noch drin. Also dran bleiben! Noch einmal zusammen reißen und da steht es vor mir, groß und mächtig, das Brandenburger Tor. 200 m! Die letzten Kräfte werden mobilisiert, um ein gleichmäßiges Tempo zu halten. Und dann bin ich durchs Ziel, bei 2:59:22 drücke ich meine Stopuhr ab. Wieder unter 3 Stunden, aber heute war es hart! Helmut kommt kurz nach mir. Er hat es nicht ganz geschafft. 3:01, aber was sind schon umgerechnete 1,5 Sekunden pro Kilometer bei einem Marathon.

Berlin ist eine Reise wert. Aber eben ziemlich voll. Mir war dieses Gewühle manchmal zuviel. Deshalb werde ich nächstes Jahr wieder bei einem kleineren Marathon starten

Ciao, Euer Jochen


 
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