Team Bittel
 

1. Untertage Marathon Sondershausen 26.10.2002  

Autor:  ErwinBittel   E-Mail: erwin@teambittel.de
Letzte Änderung: 27.10.2002 14:25:25

700 Meter unter der Erde, warm, die Reise zum Mittelpunkt der Erde. Eine kleine Schar machte sich auf zum ersten Marathon unter der Erde.

Die Sonne ist gerade aufgegangen als ich am „Erlebnisbergwerk“ ankomme. Ich habe keine Ahnung was mich erwartet und bin überaus neugierig. Wie würde das sein, unter der Erde und im Dunkel zu laufen? Vor zwei Jahren haben mir Freunde Fotos gezeigt und mich damit neugierig gemacht. Und heute endlich hat es geklappt, ich bin dabei! Zusätzlich zum 10km-Lauf, den es seit 1998 gibt und der wieder Anfang Dezember sein wird (Lauftipp!) gibt es jetzt einen kompletten Marathon. Wie wohl die Luft dort unten ist, wie dunkel es ist? Ich gehe den Fragen nicht weiter nach und denke mir, ich lass mich überraschen.



Auf „völlig ungewohnte Klimabedingungen“ sollen wir uns einstellen, steht in der Ausschreibung, „Temperaturen um die 25° C, nur 30 % Luftfeuchtigkeit und das alles in 700 m Tiefe“, und: „zur Sicherheit muss ein Fahrradhelm getragen werden“.



Es weht ein eiskalter stürmischer Wind, als ich ankomme. Mich friert’s erbärmlich als ich zum „Maschinenhaus“ laufe um meine Startunterlagen zu holen. Es geht alles sehr familiär und superfreundlich zu, fast fühle ich mich wie ein Bergkumpel auf dem Weg zum Dienst nach unten. Aber vorstellen kann ich es mir immer noch nicht. So gehe ich zum Umkleideraum und den Toiletten. Ha! Was für eine Überraschung! Lutz und Frank sind auch hier. Zwei Freunde die ich schon gut kenne. Oh, wie wir uns freuen und umarmen! Wir haben wirklich nicht miteinander gerechnet. Etwas später treffe ich auch noch Barbara, eine nette Polin, die ebenfalls kenne. – Ja, es ist schön bekannte Gesichter zu treffen.



Beim Einfahren in den Schacht habe ich meine Winterjacke an und lange Hosen. Die kurzen Laufsachen haben ich drunter an. Dem Förderkorb, in den wir steigen sieht man den jahrelangen Gebrauch an, er ist zweigeschossig und nimmt zweimal zehn von uns auf. Helm auf und –wupp – ab sausen wir in die Tiefe. Es ist dunkelschwarz um uns herum, nur die Grubenlampe der Wärterin funzelt. Ein wenig mulmig wird es mir schon, doch die Neugier verdrängt das wieder.



Unten empfängt uns ein Filmteam als wir aussteigen. Es sieht aus wie in einem alten Alpentunnel. Nur dass hundert Meter vor uns hier Bierbänke aufgebaut sind. Lampen hängen an Wänden und Decke, der Ausstieg ist eine Art Vorplatz. Wir haben reichlich Zeit, und ich begutachte die Salzwände der Röhren, die in alle Richtungen abzweigen. Die sind so riesig groß, da können bequem Autos drin fahren. Wir unterhalten uns eine Weile, ich finde die Toiletten, begutachte den feierlich dekorierten Festsaal und langsam beginne ich mich zu dehnen. Dann laufe ich mich ein paar Minuten ein, um zu sehen, wie dunkel, rutschig oder uneben es ist. Es geht, ist ebener als ein fester Waldweg, aber Vorsicht ist angebracht! Lutz, der hier schon den 10km-Kurs gelaufen ist gibt mir den Tipp langsam zu beginnen, denn es gäbe ein paar heftige Steigungen. Ich habe für heute sowieso vor langsam zu laufen, alles auf mich gründlich einwirken zu lassen, denn so was gab es noch nie. Der erste Marathon in einem Bergstollen! Ich bin begeistert.



Nach der Einleitung und Ansprache gehen wir knapp über 100 helmbewehrten Läufer zum Eingang des Starttunnels. Ein Auto steht vor uns und ein unterirdischer dicker „Plopp“ signalisiert: es geht los!



Ich beginne so locker wie ich mir eben einen lockeren Marathon vorstelle, und schon geht es bergauf. Ob das gut geht? Oh, Respekt! Dieser Anstieg ist steil und lange. Wir werden hier noch dreimal vorbeikommen. Doch danach wird es flacher, die kommenden Steigungen sind erträglich. Ich achte die ersten zehn Minuten vorsichtig auf jeden Schritt und stelle fest, ich kann loslassen, die Beine einfach laufen lassen. Vorsichtig, denn einen Rest Wachsamkeit behalte ich mir!



Auf teils losem teils glattpoliertem Salzuntergrund laufen wir in die Dunkelheit. Es ist wie Laufen in der Dämmerung. Bald schon laufe ich alleine, die vor mir haben sich in der Düsternis verloren, ich höre nichts und sehe nicht viel. Tapp tapp, ich höre nur meine Schritte, sonst nichts. Ein Auge richte ich nach vorne auf die nächste Beleuchtung, das andere nach unten und mit dem dritten Auge sehe ich mich im Traum.



Der Traum



Ja, ich bin in einem Traum, in dem ich durch einen endlosen Tunnel fliege, der sich verzweigt. Es ist ein angenehmer Traum, auch wenn ich nicht besonders viel sehen kann. Es geht im rauschenden Tempo durch nahezu lichtlose Gänge. Irgendeine Sicherheit leitet mich, mir wird nichts passieren. So fliege ich. Ich finde immer die richtige Abzweigung, wenn auch manchmal erst in letzter Sekunde und ich stoße auf meinem Flug nirgends an eine der Wände, die dunkelgrau an mir vorüberhuschen. Dieser Traum macht Spaß. Und so gleite ich Ewigkeiten lang dahin ohne etwas zu denken. Nur ab und an kommt mir ein Gedanke in den Sinn: „wo der Tunnel wohl hinführt?“ oder “ob am Ende des Tunnels Licht kommt? Oder gar eine Erleuchtung?“ Es ist in all dieser Ruhe hier doch aufregend und spannend. Ich schwebe schlafwandlerisch in meinen Gedanken, von denen mich auch die Getränkestellen alle 2,5 km nicht ablenken. So geht die erste Runde zuende und ich laufe im Halbdunkel auf einen sehr markant laufenden Läufer auf. Diesen Laufstil kenne ich. „Lutz?“, rufe ich. Er ist es. Wir laufen dieses schöne lange Stück leicht bergab zusammen, kommen dann an die einzig wirklich rutschige Stelle, einen Steilhang, der im Slalom um die Ecken geht. Das wenige Publikum applaudiert jedem von uns einzeln. Wir trinken und auf geht’s in die zweite Runde.



Reise durch den Körper



Die ist weiter locker, doch ich verlasse allmählich meinen Traumzustand und gleite in die Hülle eines Forschers auf der Reise durch die Adern eines Körpers. Ich fühle mich wie ein Blutkörperchen, das durch die Blutgefäße saust. Dies kostet mich keinerlei Anstrengung, denn ich werde durchgepumpt. Es ist so faszinierend, das mal von innen, aus einer völlig anderen Perspektive zu sehen, dass es mir einerlei ist in welche Abzweigung ich ströme. Klaro, in einem solchen Adergeflecht ist es dunkel. Das bisschen Licht, das manchmal auftaucht wird wohl daher kommen, dass die Ader nahe an der Hautoberfläche vorbei führt, denke ich auf meiner Reise. Wieso sehe ich keine anderen Blutkörperchen? Wieso sind die für mich unsichtbar? Manchmal fließe ich zäh, kaum merklich, dann wieder werde ich wie weggewaschen. Ich wache für einen Moment auf. Lutz ist wieder bei mir und fragt mich wie ich bergab so schnell laufen könne, ob ich fliegen würde? „Ich schone mich bergauf und lasse es dann bergab rollen“, antworte ich und schon werde ich weggeschwemmt. Auf einmal nähere ich mich einem Geräusch. Es wird lauter und lauter, und als ich um die Ecke fließe wird es sehr dröhnend. Rrrrrrrroar! Das muss das Herz gewesen sein, an dem ich soeben vorbei gekommen bin. Dann geht auch die zweite 10km-Runde vorbei. Ich werde wieder aufmerksam, wieder kommt das Publikum in Hörweite, wieder heißt es höllisch aufpassen, denn es ist rutschig wie auf einem mit Sägespänen bestreutem Marmorboden, der noch dazu steil abschüssig ist. Ich befolge wieder das „ganz rechts halten“ der Streckenposten und auch diesmal durchquere ich den Parcours ohne Schlingern.



Denkste! –Patsch!-, mein linkes Bein rutscht unter mir weg. Ich falle ungebremst über das Bein nach vorne und rutsche mit den Händen voran auf Bauch und Kinn fünf Meter weit wie ein Albatross beim Landen. Meine Beine kann ich förmlich über mir sehen, sie überholen mich. Und ich schiebe einen kleinen Berg Staub vor meinem Gesicht her, vor versammeltem Publikum samt Sprecher. Dessen “Sie können nach der zweiten Runde aufhören“ klingt noch in meinen Ohren. Aber zuallererst muss ich mir das Salz sofort aus den Augen waschen. Es brennt! Ich bin sehr froh, dass die nächste Getränkestelle direkt daneben ist und gieße mir zwei Becher Mineralwasser in die Augen. Dann sehe ich mir mein Knie im Licht an, es ist aufgeschürft und blutet. Sofort Wasser auch über die salzige, verschmutzte Wunde! Ich teste mein Kniegelenk. Doch es hat nichts abbekommen. Okay. So wage ich vorsichtig die dritte Runde, denn ansonsten geht es mir prima. Und fortan sprechen mich die Leute an den Verpflegungsstellen regelmäßig an, ob es mir gut geht. Ich höre ganz genau in mich hinein und ich habe keine Schmerzen. So laufe ich also weiter und schon bald bin ich wieder in Gedanken.



Pyramidengänge



Ich sehe die unterirdischen Gänge jetzt wieder anders. Ob das nicht geheime Schächte in einer uralten Pyramide sind? Die nur spärlich ausgeleuchteten Wege, die engen Kurven, mit den Abzweigungen, die verwirren sollen, die im Nichts enden, die Plünderer in die Irre führen sollen, sie vielleicht fangen sollen. Ein Labyrinth das vor 3.000 Jahren errichtet wurde. Nicht enden wollende Gänge, ich spüre die Hitze der Wüste, die von außen hereindringt, diese trockene Hitze. Ob ich die Schatzkammer finden werde? Da ist sie wieder, meine Neugier. Ich blicke im Vorbeilaufen in die Abzweigungen, die ins tiefe Dunkel führen. Manche sind verbarrikadiert, andere nur zu erahnen. Dann geht es einen langen steilen Weg nach oben, und wenn man oben ist noch einmal weiter. Ich gehe die steilsten Stücke. Und dann führt der Weg wieder so steil nach unten, dass ich bremsen muss. Vorsicht vor Falltüren oder Stolperstricken! Im Lichte der Fackeln sehe ich Figuren an der Wand, und viele Zeichen. Es ist aufregend, vor allem weil ich weiß, dass ich mich nicht verlaufen kann. Ich sehe mich selbst laufen, von weit oben. Dann kommt wieder dieses Motorengeräusch. Ja, es ist ein Motor, die Lüftung dieser geheimen Kanäle. Aha! Bald ist auch diese dritte Runde vorüber. Und auf geht’s in die letzte. Die wird nicht einfach sein, das spüre ich. Ich weiß nur noch nicht wieso. Und sinniere.



Die vierte Runde



Es kommt gleich wieder der erste Anstieg, es wird schon schwerer zu laufen. Ich versuche meine Beine leicht zu machen, doch es gelingt mir nicht gut. Ich konzentriere mich darauf. Ich laufe und schaue durch die mir mittlerweile gut bekannten unendlichen Tunnels. Jetzt erscheinen sie mir sehr lang. Wohl weil ich wach bin? - Sollte ich die Lust verlieren? Dann würde ich auf den Arzt mit dem Fahrrad warten, den ich soeben gesehen habe wie er einen Läufer heim begleitet. Ein perfekter Service. Jetzt erst merke ich, dass dies hier nicht nur ein Bergwerk-Lauf ist sondern auch ein Berg-Lauf. Zwei dieser Ansteigungen sind kilometerlang! Es geht viel bergauf und bergab (1.200 Höhenmeter alles in allem, wie mir hinterher ein Läufer sagt, der es mitgemessen hat).



„Es ist gut, ich möchte dass es jetzt zuende ist“ sage ich mir. Ich werde einen Schritt herausnehmen, um mein Knie zu schonen, dessen Wunde vom Fahrtwind mittlerweile gut getrocknet ist. Wann kommt eigentlich das Geräusch der Lüftungs-Turbine? Mittlerweile überhole ich immer wieder andere Läufer, vermutlich Überrundete. Und dann kommt das schön lange leicht abschüssige Stück Weg, das das Ende ankündigt. Doch, was ist damit passiert? Das muss jemand gedehnt haben, denn dieser Durchgang mit den herabhängenden Gummilappen an deren Ende kommt einfach nicht. Ah, endlich! Es ist jetzt gut, ich will mich jetzt hinsetzen und einen Apfel essen. - Und der Wunsch wird mir sofort erfüllt, noch bevor mich die Lust verlassen könnte: ich bin im Ziel. Aber es war knapp bevor mich meine Lust verlassen hätte.



Zuerst einmal trinke ich fünf Becher Wasser, denn es ist wirklich warm hier unten! Dann Apfel essen. Es gibt auch Bananen und allerlei andere gute Sachen. Noch ein paar Schluck Wasser, dann lasse ich mein Knie verarzten und lege mich (fast hätte ich gesagt in den Schatten) auf eine Bierbank und lasse alles noch einmal an mir vorüberziehen. Ein wahres Erlebnis! Gut organisiert, eine super Stimmung unter den Läufern, eine kleine Schar, friedliches Laufen und top Betreuung. Aber alle Achtung vor der anspruchsvollen Strecke und dem tückischen Klima hier unten!




Erwin vom “TeamBittel“, noch staubig im Gesicht.


Weiterführender Link zum Thema: http://www.erlebnisbergwerk.com/sites/sport.shtml
 
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