Team Bittel
 

16.09.2017 - Landkreislauf Oberndorf – Kallmünz (75 km)  

Autor:  GottfriedOel   E-Mail: Gottfried.Oel@medbo.de
Letzte Änderung: 25.12.2017 17:07:57

Unbegründbare Antworten auf eine unmögliche Frage: Warum laufen wir?
Oberndorf, 8:45 Uhr
Kühler Septembermorgen, Nieselregen, - hat schon in der Nacht begonnen. Der Sommer ist mit aller Wärme fortgezogen, ob er noch einmal kommen mag? In der Frühe unterbelichteter Tag, niedergehängter Wolkenraum verfinstert in kalter Unbeweglichkeit die nahen Donauhügeln, die darin unsichtbar werden. Trotzdem hört man auf der nassen Startwiese in Oberndorf exaltiertes Stimmengewirr der 300 Laufteams, die sich als Läufer erst nervös orientieren müssen, letzte Strategieabsprachen werden getroffen, gehetzt sucht man nach seinem Teampartnern, unzählige Fraglichkeiten wollen geklärt sein. Vor dem Start sind alle Läufer aufgeregt. Die Ungewissheit des Kommenden hört man schon an der veränderten Stimmmodulation: überhastetes Reden, flapsig ist man im Urteil, viel überdrehte Heiterkeit ist dabei, gar zuweilen infantile Spaßereien, die witzig oder angeberisch gemeint sein könnten. Die zurückgehaltene Bewegungsenergie verstärkt die kollektive Unruhe. Ein langer Lauf wird selten im Modus überbewusster Zuversicht begonnen. Klage um Klage, unter Läufern ein oft nicht ganz ernst zunehmendes, aber notwendiges Ritual, webt am Entschuldigungsstoff eigener Schwäche, die ausgesprochen werden möchte: „Ja mei bin ich schlecht beieinander, ich glaub das wird heut nix“! So funktioniert psychologisch die tröstende Selbstermutigung am Start und wehrt entlastend eigene, vielleicht überanspruchsvolle Leistungsambitionen ab, ebenso werden dabei auch fremde Erwartungshaltungen relativiert. Es ist notwendig ohne Überschuss an Ehrgeiz in einen langen Lauf zu gehen. Über eine kurze Sprintstrecke ist ein Lauf optimal auszutarieren, nicht so auf einer Entfernung, die weit hinter der Marathondistanz liegt. Jenseits unserer Kraft liegt ein verborgenes Land, das wir nur dann, wenn wir seine Grenzen durchlaufen, in wahrer Schönheit verstehen. Der Tiger in uns wird zum Kätzchen, dass sich nie soweit hinaustrauen wollte. Diesen Phänomen der Fraglichkeit, die sich einstellen, müssen wir uns in aller Aufrichtigkeit stellen und anerkennen, wie es die Römer formulierten: „per aspera ad astra“ (über raue Pfade bzw. Mühsal gelangt man zu den Sternen). Dann wie immer unausweichlich eingeflochten in das inszenierte Startritual eines Wettkampfes, warten wir unmittelbar vor dem Startschuss auf Ansprachen eines Bürgermeisters oder dem Grußwort eines Sportfunktionärs. Dabei sind wir meist so abgelenkt, dass wir nach dem Startschuss nicht mehr sagen könnten, von was sie eigentlich gesprochen haben. Die Cheerleaders choreographieren blau gedresst mit gelben Puscheln einen atavistischen Jagdtanz, der uns aber in keinster Weise kriegerisch inspiriert. Bis ganz knapp vor dem Start treibt man selbst irritiert und irritierend in dieser Melange von Aufregung und Flapsigkeit. Dann der Moment des Innewerdens, der auch nicht fehlen darf: Zuversicht in tiefen Zügen atmen, selbst bewusst werden, der Dankbarkeit weiten Raum geben - auch wenn das Laufen auf der langen Strecke heute anstrengend wird.

Etappe 3: Maria Ort – Schwetzendorf 6 km
Entlang der Donau verläuft nahe am Ufer der schwarze Teerstrich eines Fahrradweges. Die Waldhöhen auf der anderen Flussseite nach Bergmatting hinauf sind in graue Düsternis gesteckt, weiße Jurafelsen hellen ein wenig den Tag. Indichten Pulks jagen wir in Richtung Matting, wo die Teamläufer ihren ersten Wechsel machen können. Eine junge Frau hält souverän das Tempo neben uns. Sie hadert – ein schlechtes Zeichen für einen günstigen Rennverlauf. Die Ablöseläuferin ist nicht gekommen. Verflucht, sie müsse bis Maria Ort laufen, das werde, so untrainiert sie sei, eine Qual. Mein Burchsaler Weitläuferfreund ermutigt unentwegt. So unglaublich gut versorgt mit entlastungsmotivierten Gesprächen, an manchen Stellen lacht sie erleichtert, nähern wir uns bereits der Walba. Die Autobahnbrücke durchlaufen wir gleich danach. Die Stimmung zu Beginn eines Laufes ist überaus kommunikativ. „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, der uns aus unserem Bann der bloßen Erwartung befreit. In der Laufbewegung kommt der Läufer erst zu sich, findet Rhythmus und Sinn. Diese Freude, von den Füßen in den Kopf transportiert, gehört zu den grundlegenden Sinneserfahrungen. Nur der, der sich bewegt, laufend, gehend, hüpfend, rollstuhlfahrend, kommt annähernd in den Bereich glücklicher Zufriedenheit. Es ist ein einfaches Rezept: Bewegung befreit! Über die Donau führt mit kurzen Anstiegen die Fußgängerbrücke hinüber auf die linke Donauseite. Recht windstill ist es. Der in einzelnen Flächen spiegelnde Fluss wird von unablässigen Einschlägen massereicher Regentropfen getroffen, die so vereinzelt fallen dass man die Ringwellen jedes Tropfens konzentrisch davonlaufen sieht. Im Gegensatz zu den Etappenläufern, die wie ans Ufer geworfene Fische angestrengt nach mehr Luft schnappen, finden wir uns in uns noch gut zurecht. Der Atem geht ruhig, die Beine verrichten die gewohnte Laufarbeit. Wer nach Luft schnappt, spricht nicht gerne. Ein Baum von einem Läufer vor uns, blaues Shirt, „Schalke forever“. Er schnauft schwer, fragt besorgt, wie weit noch. Der schnelle Weitläuferfreund sagt, er kenne sich in Deutschland aus, noch 536 km. „Depp, doch bis zur nächsten Wechselstation:“ Die durch die Laufbewegung erzeugte Körpererwärmung kondensiert unter meiner dicht geschlossenen Laufjacke innen als Schweiß. Der zweistündige Regen, der zwischenzeitlich auch einmal nachgelassen hat, ist durch die Laufkleidung bis auf die Haut durchgeronnen, pitschnass auch in den Schuhen.

Etappe 4: Schwetzendorf – Eitlbrunn, 12 km
Am Schwertzenorfer Weiher drängeln sich Trauben von wartenden Teamläufern, auf der Stelle tretend, wohl um die Kälte abzuwehren und die Startaufregung niederzudrücken. Ein erstes vages Durstgefühl stellt sich nach gut 20 km auch bei dieser hohen Luftfeuchtigkeit ein. Noch sind wir Gesamtstreckenläufer gleichauf mit etlichen langsameren Teams, Geselligkeit gibt es im wieder zunehmenden Regenfall nicht, kein Etappenläufer hält sich mit anteilnehmenden Sprachgeplänkel auf. Wir, die wir nicht auf die rasche Erfüllung unseres Wunsches nach einer baldigen Ankunft hoffen, laufen durch den Regen, der uns stört, jedoch nicht aufhalten wird. Mit einem passablen Schrittrhythmus, den wir hoffen auch auf den Feldwegen zu halten, geht es über geteerte Anstiege hinauf in den Schwaighauser Forst. Nun beginnen wechselnde Trails von 12 km Länge, deren Bewältigung mir im Voraus schon schwierig schien. Immer wieder Anstiege auf Forstwegen, zudem schweres Geläuf, um den paradierenden Wasserlachen auszuweichen, manchmal nötigen sie uns zu einem riskanten Sprung. Dann folgen wieder Abschnitte auf Waldautobahnen, die man mit groben, aber recht scharfkantigen Schotter präpariert hat, gut für Jäger und Holzdiebe, aber nicht für feinfühlige Fußläufer. Sololäufer neigen dazu bei fortschreitender Entfernung und unter dem Einfluss der Anstrengung immer weniger freundlich zu reagieren oder zu grüßen. Ja, der Weitläufer ist ab und an eine Schneckenhausexistenz. Zuweilen verschlägt es ihm die Sprache. Das Hören als akustischer Sinnenreiz bleibt dagegen meist übersensibel ausgebildet, was dem Läufer leicht dazu bringt, jede aufgefangene Kommunikation für ein überflüssiges Sprachspiel zu halten. Fragen der „Welt“ werden mit einem Mal uninteressant, ja in geradezu auflösender Weise transzendiert. Erstaunlicherweise kennen wir auch das gegenteilige Phänomen: Wo zum ersten Mal für den Läufer eine Gewissheit eintritt, „über den Berg zu sein“, d. h. im Anlauf auf das Ziel, das er, vielleicht als Letzter, aber immerhin, erreichen wird, verführt ihn die Erleichterung in einen zeitweiligen regressiven Zustand lächerlicher Albernheiten. Von der Erschöpfung entkräftet vermag man selten an sich zu halten, wird kindsköpfisch, parodiert sich in Ausgelassenheit manchmal selber bis zur schwindeligen Überdrehtheit. Auch davon lebt die Spannung während eines Laufes. Nervosität und Unterlegenheit bestimmt das Gefühl am Anfang. Eine schwierige Mitte des Laufes entsteht mit der Wüstenerfahrung des Selbstzweifels, wo man in der Gefahr steht, den Lauf abzubrechen. Erst danach, möglicherweise Stunden später, tritt ins Gefühl diese einmalige Bejahung aller Beschwerlichkeiten. Hier erst spricht der Läufer sein großes Amen: „So sei es!“. Mit eigener Kraft und Erschöpfung anzukommen ist wie eine Häutung in der seelischen Befindlichkeit. Jeder lange Lauf bringt uns ein neues Leben. Es regnet nicht mehr. Tropisch warm ist mir unter Hemd und Jacke. Im Rucksack trage ich diesmal fürsorglich zu Trinken mit und Wechselwäsche. Diese verlorene Situation mit diesem erbärmlichen Einbruch wie im Frühjahr auf einem Drei-Tages-Lauf im Pfälzer Bergland sollte sich nicht wiederholen. Mir geht die Puste aus. Älterwerden ist zwar keine Krankheit, aber der Gesundheit schadet es auch. Von Altersjahr zu Altersjahr immer zwickt und ruckelt etwas anders (Knie, Halswirbel, Plattfuß usw.) Steil anliegende Wege über langgestreckte Hügel komme ich durchlaufend nur noch an guten Tagen hoch. Ein pensionierter Weitläufer aus dem LLC Marathon Regensburg hat als letztes Allheilmittel empfohlen: Almased. Um Gottes Willen, da verzichte ich lieber auf die tägliche Kelchkommunion nach Feierabend.

Etappe 5 Eitlbrunn – Regendorf, 6 km
Unter den Umständen meines bedauernswerten Untertrainings bin ich für die lange Strecke freilich zu schnell unterwegs. Ein Anfängerfehler, den ich zu korrigieren nie die Vernunft hatte. Auch fehlt mir diesmal eine nicht unerhebliche Anzahl von langen Läufen, die als Vorbereitung für einen 75 km Lauf immer substantiell sind. Die Krise der Überforderung ist so nicht zu vermeiden. Manchmal lenkt uns das Leben auf Aufgaben, um die wir uns nicht unbedingt beworben haben, jedoch nun verantwortlich sind. Lange Läufe läuft man mit den Füßen. Der Kopf hat dabei nur den Anteil die motivierende Kraft ausreichend zur Verfügung zu stellen, aber einmal gründlich erschöpft, stellt mich auch mein Kopf nicht wieder auf die Beine. Bin ich doch schon ausgepumpt in Eitelbrunn? Am Fußballplatz sind Läufer- und Läuferinnen wie in einem Bienenschwarm positioniert. Da rennen Läufer im hohen Speed in den Zielbereich, die anderen greifen behände im raschen Zugriff nach dem Staffelstab und hasten als wäre der Leibhaftige hinter ihnen her im riskanten Antritt über den nassen Rasenplatz. Für jedes Team findet Norbert Lieske über Mikro eine sympathische Begrüßung, für die Einzelläufer eine anerkennende Aufmunterung, die man gerne hört. Im beheizten Zelt nebenan ist es möglich die schwere Kleidung, die unangenehm am Körper anklebt, zu wechseln. Meine Kollegin, die nette Staffelläuferin, bietet an, die verschweißten Shirts mitzunehmen, so dass ich sie nicht wieder in den Rucksack zurückstopfen muss. Mit neuem Wohlgefühl nehme ich das Rennen nach ca. 15 min. wieder auf. Es geht auf Flurbereinigungsstraßen hügelwärts hinüber nach Regendorf. Störenfried Autobahn wird im Tunnel unterlaufen, dann zieht uns alleine die Schwerkraft zum Fluss hinunter, wo gleich am Radweg nach Diesenbach ein freundliches Wartungskommando der örtlichen Feuerwehr auf uns Läufer wartet. Der schnelle Läuferfreund ist auf und davon. Das bin ich gewohnt, aber was ungewohnt ist, ist meine steigende Ermüdung, die über die rasch sinkende Motivation noch im ungewohnt starken Aufkommen begriffen ist.

Etappe 6: Regendorf – Diesenbach, 4 km
Eine lange Gerade führt entlang des Regens, der krautig bewachsen ist, die Wiesen leuchten in einem freundlichen Grün. Die Vorwaldhügel hinter Regenstauf, die immer sehr epikureisch ihre Waldbuckel in die Höhe strecken, stoßen in die Finsternis abgeregneter Wolkenfelder, die nun höher ziehen und mehr Raum eines sich erhellenden Himmels öffnen. Die Marathonstrecke ist nun durchlaufen. Ich falle in einen kürzeren Laufschritt, die Pulserregung bleibt trotzdem ziemlich hoch. Verzagtheit bemächtigt sich meiner anhaltend. Im Gehen denke ich auf einfachere Weise, dagegen im Laufen oft Unsinniges oder Nichts. Permanenter trommeln die Wünsche herein, den Lauf drüben in der Stadt Regenstauf in einem warmen Cafe zu beenden. Warum denn sich weiter so plagen? Widerspenstig sind die Gedankenbilder, die mir Entschuldigungsformeln für einen Abbruch an der nächsten Versorgungsstation aufnötigen. Der Wunsch und die Verlockung werden mit der gefühlten Schwäche manifester. Interessant, wie unser Denken gebildet und geleitet wird von Augenblicksmomenten. Natürlich braucht es immer Kraft, sich gegen dieses wiederkehrende Phänomen der Eigenmanipulation durchzusetzen Was ich vorher wusste, bestätigt sich: Ich werde die 10 Stunden heute auch benötigten um ins Ziel zu kommen. Der Läufer weiß aber, sofern er keine ernsthafte Verletzung hat, dass es auszuhalten ist, dass er einfach nur solange im Wettbewerb bleiben muss bis die Versuchung ihn wieder freigibt. Das ist die Kopfarbeit, die notwendig ist in solchen Phasen des Laufes, den Füßen zwar keinen militärischen, aber einen dennoch eindeutig disziplinierten Befehl zu geben, anständig zu gehorchen.

Etappe 7: Diesenbach - Steinsberg, 7 km
Noch im Gefühl einer gewissen Restverzagtheit verlasse ich gehend den Fußballplatz von Diesenbach. Die Zeiten passen ja, selbst wenn ich jetzt sehr langsam vorwärts kommen sollte, ist mir doch die Freude zugewachsen, das Zeitlimit bis zum Ziel nicht zu reißen. Gestärkt durch ein Hopfengetränk stapfe ich die Steigungen hinauf bis wir oben in kleinen Weilern ankommen, wo uns Gott sei Dank kein Hund den Weg verstellt. Eine letzte Teamläuferin überholt mich nun. Auch ihrem Tempo, und das war schon sehr langsam, kann ich nicht lange folgen, obwohl sie mich dazu eindringlich auffordert. Jetzt gilt es, seinen eigenen Zustand auf einfache, nicht zu hinterfragende Weise anzunehmen. Ich bin heute unterwegs, ich atme diese atmosphärische Luft, meine Beine greifen den Raum, laufend bin ich lebendig. Dieses Indianergefühl frei zu sein, generiert sich uns in keiner anderen Weise. Beim Laufen so gedankenfrei zu werden, gelingt eigentlich immer nur dann, wenn die Balance zwischen Anstrengung und Leistungsvermögen berücksichtigt wird. Wenn der Lauf beginnt „weh“ zu tun, komprimiert sich ja das Denken wieder quälerisch, sucht nach Auswegen und Ausflüchten. Ganz frei zu sein, zu wissen, dass man nicht läuft um im Ranking in der Platzierungsliste weit vorne zu stehen, sondern das man dieses erfüllte Gefühl sucht, einfach draußen zu sein, sich aufrecht zu fühlen, bejahend, gesund und neugierig, das ist das Besondere und Eigentümliche am Laufen. Es müsste dieses Versprechen geben, dass wir unsere fußläufige Fortbewegung bis zum Ende unserer Tage ausgefüllt behalten dürften. Von einem erstiegenen Hügel schaue ich zurück talwärts. Der Besenläufer Tom ist mir da unten schon auf den Fersen! Das blinkende Rettungsauto muss einen Straßenumweg fahren. Insgeheim freue ich mich, wieder mit Tom laufen zu können, er wird bald zu mir aufschließen, schon vor Jahren haben wir gemeinsam Krisen und Krämpfe durch die massenhafte Einnahme von Magnesium und einigen Flaschen Erdinger Alkoholfrei mit Anstand gemeistert. An der Versorgungsstelle am Fußballplatz in Eitelbrunn schickt er mich dann auch gleich weiter, während der sich noch die Wurstbrote von den charmanten jungen Damen offerieren lässt.
Etappe 8: Steinsbeg – Holzheim, 7 km
Der Weg dort hinüber ist landschaftlich von expressiver Wucht. Eine wahre Bilderbuchaussicht auf die Burg von Kallmünz tut sich vor uns auf. Der Weg jedoch, den wir noch laufen müssen, bemisst sich auf 20 km in einer Schleife, die wie ein Fragezeichen in liegender Form von Holzheim über Wolfsegg zum Ziel führt. Dramatisch haben sich die Wolken formiert, Luftgebirge an Luftgebirge, gewaltig in der Quellung immer neuer aufbegehrender Formen, von verschiedenen starken Winden dramatisch in unterschiedliche Höhen gewirbelt. Immer wieder stürzen die getürmten Fronten, weiß aufleuchtend ineinander, zerreißen spektakulär im schwarz-grauen Farbwandel, dahinter werden blaue Meere deutlich, Urgründe des Himmels in türkischer Mischung, rautenblau und violett, schon ein schüchterner Anflug des Herbstes. Als Läufer immer wieder den Himmel im Aufruhr oder in Flammen zu sehen ist grenzenlos schön. Diese Himmelslandschaften erhöhen unser Glück, wenn wir auf freiem Feld laufen. In Holzheim versorgt uns die feiergeneigte Fußballjugend mit allen Viktualien, die ein Läufer eingedenk seiner Sportivität nicht zu sich nehmen sollte (Kuchen, Plätzchen, Hopfengetränke u. a.). Wir sind in den Modus des Schnellgehers gewechselt, verabschieden uns von der ob unserer zurückgelegten Ultrastrecke erstaunten Jugend wie langjährige Freunde. Die Stimmung ist zuversichtlich. Immer wieder zwingen wir uns in einen leichten Trab, der spätestens an der nächsten Steigung unterbrochen wird. Mehr vielleicht wie im Laufen hat man im Gehen mehr Bewusstsein. Lange schien es mir umgekehrt. Nun, da ich selber mehr und mehr zum Wanderer werde, steigt diese Lust in mir, im freien Gehen weite Räume zu unterwerfen. Das schauende Gehen, das pilgernde Wandern, die Entdeckungsfahrten zu Fuß, tageweites Ausgreifen - nur so kann die Welt im Unterwegssein geliebt und verstanden werden. In der Bewegung führt der Weg vom Ich weg zum Du des Anderen und vielleicht zu einem neuen Einverständnis, das kein Verhältnis oder ein Zustand bleiben kann, wie sie entstanden sind. In der Bewegung löst sich das Problem der Beharrung und der Fremdheit. Bewegung schafft Vertrauen.

Etappe 9 Holzheim – Wolfsegg, 9 km
Den Weg durch den Forst hat ein Sponsor eines lokal-katholischen Brauereibetriebes mit Werbung für sein Produkt in Kilometer eingeteilt. Probierfläschchen stehen leider keine an den Werbetafeln. Ein Läufer vor mir bemüht sich und opfert angestrengt seine letzten Reserven, um immer wieder vom Gehen ins Lauftrippeln zu wechseln. Er erzählt, er habe sich um die 10 km verlaufen, sei aus Unachtsamkeit, er läuft partout mit Kopfhörer, einen falschen Weg abgebogen. Auch als ich ihn ein zweites Mal nachlaufe, weil er an der Abzweigung vorbeirennt, auf Zurufen reagiert er ja nicht, beschallt er sich weiterhin unbeeindruckt. Die Kilometerabstände dehnen sich in der subjektiven Wahrnehmung enorm. Wir sind noch drei Läufer, die zusammenbleiben, das leuchtende Schlusslicht dieses Landkreislaufes. Wir prüfen unser Befinden. Da gibt es erst einmal keine Anzeichen, die nicht zur Anstrengung der zurückgelegten Strecke passen würden, also nur ein prägnantes Ermüdungsgefühl. Keine wunden Stellen an den Füßen oder andere Schmerzen haben sich gemeldet, auch das rechte Knie gibt Frieden und die Schmerzteufel im Sprunggelenk sind von den vielen Engeln, die mich sonst begleiten, wohl zwangsgetauft worden. Der Weg ist öde. Forstautobahnen durchschneiden in geometrischen Linien den Wald, die Orientierung nach Landmarken und versprechenden Horizonten fehlt. Das macht einen langen Weg auf jeden Fall noch länger. Tom erzählt von seinen Plan seinen 100. Marathon in New York zu laufen. Diese enthusiastische Rede über fremde Orte, die sich zum Laufen anbieten und die noch ungetanen Abenteuer stimulieren auffällig. Nach diesem Sabbatjahr 2017 sollten wieder neue Laufwelten zu entdecken sein.

Etappe 10: Wolfsegg – Kallmünz, 10 km
Schon hat die pelzige Gleichgültigkeit eine Zeitlang von mir widerstandslosen Besitz ergriffen als wir den Wald über einen kleinen Aufstieg durchbrechen und auf einmal über Wolfsegg ins Freie treten. Das wäre also überstanden, schlägt mir mein freudiges Herz hochgestimmt entgegen. Eine heitere Abendstimmung nimmt von uns Besitz, dazu passt die rührende Fürsorge am Verpflegungsstand. Wir sind die Letzten, die aus dem Wald kommen, hinter uns gähnt die Leere. Wir genießen den Schokokuchen, den man uns aufdrängt und das Getränk, das noch aufgedrängter nicht abgelehnt werden darf. Hier wäre ich geblieben. Was ist es denn wert bis ins Ziel zu laufen, wenn ich hier im Sonnenlicht sitzen bleiben kann. Wir müssen uns richtig Gewalt antun, um weiterzulaufen. Ich mache Tom, der im Ratsch gerade selbstvergessen scheint, darauf aufmerksam, dass wir für die letzten zehn Kilometer auch nur noch 90 min. an Zeitreserve hätten. Die Burg, wie sie da steht, scheint sogar so als wäre sie einer Märchenkulisse entnommen. So werden wir im Gefühl zu Helden erhöht und spüren den Stolz als fahrende Ritter, die nach gefahrvoller Irrfahrt in die Heimat zurückfinden, nicht auf Streitrössern, sondern auf Schusters Rappen. Ein versöhnlicher Abschluss, die Sonne ist zurückgekommen, wirft romantische Schattenbilder in den auffliegenden Dunst. Jetzt ist es auf einmal ein Leichtes. Vier km legen wir im passablen Laufschritt abwärts auf einem Feldweg zurück, der uns zur Naab hinunterbringt, wir erreichen Duggendorf. Noch sechs Kilometer am schönen Fluss hinauf. Immer wieder im erheiterten Gespräch ist es ein sehr schönes Erlebnis. Dieses Gefühl der Freiheit auch glücklich ins Ziel zu kommen, wenn auch als Ultraschlusslicht, ist nicht verhandelbar. Laufen hat so einen hohen Erlebniswert, das es kleinlich schiene, Zielzeiten zu visieren. Und Großes wird uns im Finale nicht mehr geboten, der LKL ist ja bereits gelaufen, aber die Begrüßung und das Wiedertreffen mit Birgit hat eine hohe Innigkeit. Eine kleine Gemeinde von Lauffreunden, auch der schnelle Ultrafreund ist vor Stunden bereits im Ziel eingetroffen. Mal schauen, wie es weitergeht, wie lange zehn Stunden reichen werden, um die nächsten LKLs finishen zu können.

Servus, Euer Gottfried
 
[team/fuss.htm]