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Über den Ultralauf - Philosophische Gedanken  

Autor:  GottfriedOel   E-Mail: Gottfried.Oel@medbo.de
Letzte Änderung: 19.08.2017 23:05:03

Ein Ultralauf fordert viel und schenkt dem Läufer, wenn er besteht, kurzfristig vergängliches Glück, aber langanhaltende Zufriedenheit und Beständigkeit in wirbelnden Alltagsstürmen

Über den Ultralauf

Der Läufer ist freiwillig unterwegs, niemand schickt ihn, irgendwohin zu laufen. Gewöhnung an lange Strecken holt man sich durch ausgedehnte Läufe. So entwickelt sich eine Fähigkeit die eine ganz und gar allgemeine ist. Zum Weitlaufen braucht man kein Talent, nur sehr viel Übung und Gewöhnung. Gesunde Füße vorausgesetzt, die ihren Dienst tun, verlangt das Weitlaufen nur eine unbändige Neugierde auf sensitive Erfahrungen, die sich in der Natur einstellen, im Wechsel des Lichts und der Jahreszeiten. Überstandene Ferne, ausgehaltene Unlust, unempfindliche Motorik, Durchleben von Krisen, die sich auf weiten Strecken einstellen, sind ebenfalls Voraussetzungen. Aber zum Laufen bringt uns diese uneingelöste Sehnsucht nach Freiheit und diese Glückserfahrung, die sich manchmal, nur manchmal sehr intensiv einstellen kann. Man ist draußen alleine oder in der Gruppe unterwegs, immer bilden sich Stimmungen, sammeln sich im lebendigen Haus der Erinnerungen: Hügel und Höhen über die man gekommen ist, durchlaufene niederbayerische Ebenen, an den Heimatflüssen Laber, Regen, Naab, Donau entlang, vertraute Dörfer im Jura und im Vorwald. Es sind vor allem die Wind- und Regenläufe, die Stunden mit Sonnenwundern, das Unterwegssein auf Wurzelpfaden in schwärzester Nacht, die Arien des Frühlichts, wenn wir früh unterwegs sind, die begeistern und die bleibend in unserer Erinnerung archiviert werden.

Die Türe zum Laufen steht für den, der nur damit anfängt, jederzeit offen. Wer dann beim Laufen bleibt, dem öffnet sich, wenn er nur möchte, das nächste Tor, das weiter auf unbekannte Entfernungen hinausführt. Laufen also, eben auch weiter Strecken, ist eine allgemeine und recht gleich verteilte menschliche Eigenschaft, weil es soweit gänzlich talentfrei ist. Dabei gilt ein ganz allgemeines Laufprinzip: Jeder Lauf ist individuell und unvergleichbar, weil er ein Erlebnis ist, eine mögliche tiefe Erfahrung über die man sich mit anderen austauschen muss. Es sollte beim Laufen nicht die Anstrengung im Vordergrund stehen, sondern jeder sollte die Erfahrung machen können, dass die läuferische Fortbewegung ihm einen ständig frischen Quell an Glücks- und Freiheitserfahrungen zu schenken vermag. Die Streckenlänge oder die Dauer eines Laufes ist dabei nicht so wichtig. Man sollte so laufen, dass sich ein je individueller Trainingszustand einstellt, wo Laufen in der Balance des eigenen Vermögens als erfahrungserweiternd und lebensbereichernd empfunden werden kann.


Laufmotive

Welche Laufmotive dominieren? Sicher ist es einmal die Entdeckerlust, die einen antreibt mehrere Tage hintereinander zu laufen. Die Teilnahme am Spreelauf ist verstehbar aus dem Gefühl der Freude, die entsteht weite Entfernungen bewältigen zu können. Es ist ein persönliches Abenteuer ohne gesundheits- oder gar lebensgefährdendes Expeditionsrisiko wie bei den Entdeckern der Ferne (Mackenzie, Leichhardt, Franklin, Hedin, Livingston). Es ist zwar nur ein analoges, vermitteltes Gefühl, aber man ist real ein Entdecker seiner Selbst, ein sich Neuerfinder freier Möglichkeiten Mensch zu sein. Wir laufen nicht aus purgatorischen Gründen, wir fügen uns keine Gewalt zu, scheuen wie alle Menschen Schmerzen und zu heftige Anstrengungen, finden aber im Laufen einen Freiheitsraum, der uns ganz auszufüllen vermag, weil sich beim Laufen Himmel und Erde in uns versammeln und manchmal fühlen wir uns völlig losgelöst von Koordinaten sozialer und individueller Grenzen. Dem Läufer ist es eigen in Gegenwelten des Alltags zu wechseln, routinierte Eigentümlichkeiten und Fesseln des Alltagszwanges zu transzendieren. Erlaufene Gegenentwürfe stabilisieren gegen Alltagsnormalität mit Pflichten und dem Normierungsdruck schlechthin

Ein weiteres Laufmotiv ist sicher der sich einstellende Gewinn von Klarheit. Das Wichtigste beim Laufen ist nicht das Ergebnis, also mit welcher Zeit man eine Strecke durchlaufen kann, sondern es scheint vielmehr darum zu gehen, dass Laufen einen begeistert, trägt, herausfordert aufs Neue und man dadurch in Leidenschaft verwandelt werden kann, es als Gewohnheit ständig zu wiederholen.

Die Kunst des Laufens

Laufen aber als im Grunde absichtsloses Tun ist erst wirkliches Laufen als Erlebnis. Eigentlich hat Laufen keinen effizienten Nutzen, seit der Dressur des Pferdes und der Erfindung der Eisenbahn oder des Automobils macht es keinen materiellen Sinn mehr. Die Läufe, die uns ohne choreographierten Wettkampfcharakter gelingen, haben bereits etwas von der Qualität wahrer Läufe. Sie sind besonders nachdrücklich vom Erlebnis, also die Erfahrung von Landschaft, Individualität und Unabhängigkeit stehen hier mittelbar im Zentrum des Gefühls. Selbstbestimmtes Laufen meine ich ist schöner, wie unter dem Diktat einer bestimmt bemessenen Cut-off Zeit laufen zu müssen, also unter dominanten und wertenden Wettkampfbedingungen. So zu laufen, ohne etwas erreichen oder nach einem bestimmten Maßstab etwas leisten zu müssen, ist das Ziel aller läuferischen Kunst.

Es ist das Einfachste im Einfachen beim Unterwegssein: Lebendigkeit spüren, Selbstvergewisserung, Einklang mit seinem Sosein, dem Jetzt – dem Kommenden zu trauen. Das gelingt auf einfache Weise: Das Unterwegssein braucht eine Balance mit den je eigenen Kräften. Es gibt eine Grenze, die man kennen muss: Wo auf der Waage des Glücks die Schale der Empfindung sinkt, weil der Schmerz durch die Anstrengung wirklich beginnt, da ist es Zeit, den Lauf oder den Weg zu beenden.

Es kommt vor, zuweilen am Abend eines Tages, wenn man „zum Laufen geht“, dass ein Problem wie ein Denkknoten alle freien Gefühle blockiert. Es ist die Erfahrung des Läufers, dass nach dem Lauftraining das brütende Problem nicht mehr vorhanden ist oder wenn man dieses doch noch spüren sollte, dann haben sich die konfliktbelasteten Fragestellungen mit Bestimmtheit verändert. Wohl dürften sie in der Direktheit der Infragestellung wie auch in der manchmal recht merkwürdigen Gefühlsabsolutheit nicht mehr so als störend empfunden werden, auch Lösungen zeigen sich plötzlich auf vorher nicht entdeckbarer Weise. Das Problem kann man weglaufen, oder: im Prozess des Laufens passiert eine vom Rationalen fast unmerkliche Katharsis. Sie vollzieht sich durch den Vollzug der Bewegung im Läufer-Ich.

 
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