Team Bittel
 

21.06.2014 Salzburg, Mozart 100  

Autor:  GottfriedOel   E-Mail: Gottfried.Oel@medbo.de
Letzte Änderung: 23.11.2014 12:49:09

Wie ich lernte kein Held mehr sein zu müssen.

Dieser Text ist keine exakte Wiedergabe des Streckenverlaufes, sondern subjektiv erfasst, mit eingestreuten Reflexionen über das Laufen. Dass man lange, beschwerliche Läufe ausprobieren kann, das ist ja spannend und man sollte es durchaus probieren. Aber die Frage ist, welches Motiv treibt mich. Ich glaube, dass Laufen hilft, freundlicher, sinnvoller und gesünder zu leben. Laufen ist keine mechanisch-automatische Bewegung, sondern eine Begegnung mit allem Lebendigen, das dieser fantastische Planet zu bieten hat. Wir müssen keine Helden sein, um leben zu können. Die Überschreitung von Grenzen als authentischer Wille sollte profund im Läuferindividuum selber verankert sein. Es ist jedes Einzelnen freie Entscheidung und er muss sich sicher sein, keiner fremden Ehrgeizeinflüsterung Folge zu leisten. Ich laufe, weil ich bin. Ich laufe, weil ich 2 Beine habe, die mich in Bewegung bringen. Alles ist Bewegung. Aus Bewegung entsteht Anfang, Leben und Veränderung. Laufen begünstigt Veränderung.

Rainer und ich fahren nach Salzburg zum Mozart 100. Rainer, weil er ideale Walking-Trails im schwierigen Gelände probieren will und damit schon seinen Trainingsstart für die nächstjährigen 100 Gehkilometer in Biel eröffnet. Ich, weil ich sonst im Garten daheim arbeiten müsste. Und auch um Ausreden meiner Frau gegenüber glaubhaft machen zu können, ich sei zum Arbeiten auf lange Sicht viel zu erschöpft. Bücken oder lang andauernde Einpflanz- oder Ausreißarbeiten brächten mir frühzeitigen Verfall. Auch, was leicht zu verstehen sei, hätten bösartige Kortisonidenschwärme, die während überlanger Läufe, meinen Hippocampus durchlöchern, maligne Folgen ausgelöst. Mit mangelndem Antrieb, groben passageren Orientierungsstörungen ist nicht zu spaßen.

Den Start für den 100 km Lauf, unangebrachte 2 Runden aus Salzburg hinaus und wieder zurückführend, hätte ich beinah verschlafen. Rainer weckt mich um halb 3 Uhr. Er schläft noch Stunden länger. Durch die Gasse lärmen Nachschwärmer. Meine Resilienzfähigkeit wird frühmorgens enorm strapaziert. Wankende Trecks jugendlicher Spätheimkehrer (wo sind bloß die Eltern dieser jungen Leute?) irrlichtern ziel- und zügellos umher. Schwer genug durch ihre stoßende und schiebende Phalanx hindurch zu schlüpfen, mich auf den Gassen in keinen Händel hineinreißen zu lassen. So erreiche ich 40min später das Startgelände, wo um 5:00 Uhr der Startschuss zum 100 km Lauf die Stadtstille zerreißt. Die erste Runde ist nur 46 km lang, im Anstieg mögliche 1200 m, nach 6 Stunden hoffe ich wieder hier zu sein, um die dann noch verbleibende Streckenwenigkeit von 57 km abzurennen.
Schon jetzt in der kaum von Sportlern frequentierten dämmernden Tiefe des Mozartplatzes habe ich wie eingepflockt das Gefühl von unpassender Anstrengungsbereitschaft; so sehne ich Glücksgerüche herbei, die einen sofortigen samtigen Schlummer bewirkten und mich den Lauf engelsgleich verschlafen ließen. Gebrüllt verjagt ein antagonistischer Appell die feige Schwäche: „Du wirst diesen Lauf in seiner ganzen Länge und in seiner gesamten wahnsinnigen Dauer bis zum letzten Zielkilometer zu Ende laufen, Spartiat“. Dieser Befehl ist inwendig so unausweichlich, wie wenn mir der Stratege Miltiades, mich zwangseingereiht in die Phalanx der Kampfkameraden, den Sturmangriff gegen die Perser befähle.
In meinem jüngeren Leben, da gab es diesen Willen, einen Lauf nicht abzubrechen, auch nicht, wenn das Ausmaß der Strecke, die zurückgelegt werden muss, die trainierten Laufkräfte überfordert hat. Muskel, Bänder und Sehnen schreien nach Beendigung der Beanspruchung, im Knie, vorwiegend im rechten, lässt sich der atheistische Schmerzteufel nicht mehr vertreiben, Brände im Gehirn, Erstarrung in Herz und Lunge.
Meinen wir, indem sich die Trainingsbahn immer mehr zum Exerzierplatz verändert, diesen gigamanischen Appellen nach immer längeren und gefährlichen Laufbewerben Folge leisten zu müssen, weil unser Selbstbewusstsein, aufgefüllt durch die bestandenen und überstandenen Läufe, jetzt aber wieder schwindend, da die Wiederholung fehlt oder die Steigerung, den Wertverlust nicht verkraftet? Wir müssen diesen Bluff durchschauen. Niemals darf man für Beifall laufen. Wir laufen freiwillig, niemand schickt uns irgendwohin zu laufen. Propagandistische Zuflüsterungen, aus der Unterkehre psychologischer Omnipotenzwünsche, männlich dominierter Stoff, führt, unkritisch befolgt, unweigerlich in die freudlose Irre, beim Laufen in den Bewegungstot durch maßlose Überforderung.

Entlang der Salzach trabe ich entlang, Spannung und Angriffsbereitschaft spüre ich keine, 5 km geradeaus, mir wäre nach Ablenkung, jedoch stockt die Kommunikation mit den befreundeten Ausländern erheblich. Dann geht es in die Berge, romantische Schluchten erklimmend, im felsgeblockten Bach liegt zerbröselndes Treibholz, durch das Mahlwerk ständigen Strömens bilden sich Aufstauungen, Gumpen tieferen Wassers, dann friedlicher Ausstieg auf grüne Almwiesen, lastenden Morgennebel durchsteigend gelangen wir auf geteerte Bergstraßen, die einzelne Höfe, die verlassen scheinen, verbinden. Die Austriapost wird hier oben in der Geschwindigkeit meiner Laufbewegung ausgefahren, umständlich einlenkend aus den an den Hang geklebten Höfen in die schmale Bergstraße überholt die Botin nicht. Als Markierung gelten mir in der Ferne zwei bis auf die Felskuppen bewaldete, steil hinauf geforstet, schwarzgrüne Bergsilhouetten, getrennt durch eine tiefe Schlucht, in die ich am Rand der schmalen Straße laufend unweigerlich hinabzustürzen drohe, verlöre ich mich noch mehr in meinem Jammer.
Nach 20 km schon spüre ich erste Hoffnungslosigkeit. Ein weißes Plastiktransparent kündigt vor dem schmalen Einschlupf in den dichtastigen Bergwald neue Pein an: The Wall – den steilen Aufstieg über Wurzelfallen und ausgespülte Kalksteinbrocken, die schmerzhaft bei Fehltritten die Bänder überdehnen. Benommen fühle ich mich, wie wenn ich zu lange unter Wasser, zu selten Luft schnappend, gelaufen wäre. In den Ohren nur synkopisches Rauschen, am Beginn einer vagen Verzweiflung, die sich steigerte, wollte ich die zweite Runde erzwingen. Nach 25 km habe ich, den Fuchlsee vor mir im trüben Morgenlicht, die Sonne will nicht scheinen, das Gefühl, Trotz und Kampf sind als Schild und Speer nicht genug, um den Lauf weiter zu bestehen. Gerade auf einen Golfplatz, meine Abneigung gegen diesen Lauf hat einen zusätzlichen Grund gefunden, verliere ich den Weg, hinaussignalisiert von gestörten Blesshühnern der besseren Gesellschaft schlüpfe ich durch den Rutenzaun zurück und finde wieder Anschluss an einen Läufer. Er lächelt, Falten haben salzige Schmisse ins gebräunte Gesicht getrieben. Am Salzburgring halte ich an, frage die Bewohner, was sie gegen diesen infernalischen Lärm unternähmen. Sie seien bereits taub, sie störte das Motorengeheule nicht mehr, sagen sie und bieten mir einen Schluck Bier an, den ich dankbar annehme. Eine vielbefahrene Bundesstraße durchstößt das grüne Idyll. In der Ortschaft Hof, nach Hofer, Lidl und Nahkauf treffen die Läufer auf eine kaum besetzte Labestation, km 32. Die Langeweile der jungen Frauen gähnt mich an. Hier will ich nicht bleiben.

Es ist nicht mein Tag, es ist nicht meine Stunde, es ist nicht mein Lauf. Dieser Mozart 100 ist kompliziert. Die schönen Gegenden der Leichtigkeit habe ich heute schon durchlaufen. Die nächste Runde sähe mich in der Sphäre des Helden, der sich nicht um seine geschlagenen Wunden kümmert. Einem Helden gefällt sein eigener Untergang. Mir graut davor.
Gewelltes Bauernland durchlaufend, dem Tourismus angeschönt, dahinschleppend mit der Elastizität einer Eisenbahnschwelle, empfange ich Welle auf Welle Gewissheit, Gedankenfreiheit, diesen Lauf nicht beenden zu müssen. Dem Helden dämmert kein Morgenlicht, er will die Tat vollbringen, auch wenn er darin umkommt. Mir ist das wurst. Seit Jahren bemühe ich mich frei zu werden von Leistungsansprüchen, die mich inwendig aushöhlen. Dass Schielen nach Rankingtabellen und Zeitwerten lenkt mich vom Laufgenuss ab. Ich laufe gegen Niemanden, auch nicht mehr gegen mich selber. Wettkämpfe sind ein wenig wie zusätzliches Fleisch in einer ansonsten üppigen Suppe, die auch ohne Zutat satt macht. Eintrainiert in das Altersschwinden der Kräfte, ein Vorlaufen in abnehmende Körperlichkeit, sind Versuche, Läufe auch am Ende eines Läuferfeldes zu erleben, an der Schwelle zur Cut-off Zeit. Es ist beglückend, sich nicht mehr vergleichen zu müssen. Die 2. Runde, das ist längst entschieden, werde ich nicht laufen. Der Held kämpft für seine Belohnung: Die Mehrung seines Ruhmes. Wir aber laufen, wie ein Sänger, der sein Lied nicht singt, um am Schluss anzukommen, gerade so für den Augenblick unserer vergänglichen Freude.

Das Läuferfeld ist lange auseinandergezogen, nur an den Labestationen kumulieren 2 oder 3 zu einer Gruppe, die aber schnell wieder auseinanderreißt. Jeder möchte für sich bleiben. Die Marathonstrecke ist abgelaufen, von hinten drücken im verrückten Stakkato Ultrawalker an mir vorbei, eine junge forsche Frau triumphiert als sie mich überholt. Spüre ich hier nicht aufständisch den alten Reflex, doch ein Held sein zu wollen? Tatsächlich: Bergab laufend hole ich sie wieder ein. Die Stadt kommt näher, mit viel Glück werde ich auf den Zufahrtsstraßen im rücksichtslosen Stadtausverkehr nicht überfahren. Vororte prosperieren ins Vorland. Über den Mönchsberg haben die Salzburger die Strecke gelegt, 600 Stufen im Aufstieg, auch die 2. Runde ist mit dieser Schikane garniert. Ich dampfe. Jeder rinnende Schweißtropfen summt ein lautloses Halleluja. Diese Stadt ist imposant, oben auf dem Mönchsberg, hinunterschauend durch wirres Baumgeäst verschlägt es mir die Sprache vor so viel Stadtschönheit. Grüne Dächer, Kuppel an Kuppel, am Fluss entlang Baustolz der Bürger, Brücken verbinden schmale Streifen weißer Hauskolonnen, über den Gassen dominieren die steilen Hügel, voller Wald und Museen für moderne Kunst. Von diesem Berg stürze ich zurück in die Stadt. Ich habe das Gefühl der Schwerelosigkeit, über den Rücken laufen kribbelnde Schauer, bewahrheitet im nicht immer einfachen Eigensein erwarte ich nun selbstzufrieden Rainer, der noch im spartanischen Walkingschritt unterwegs ist.

Euer Gottfried, kein Held mehr
 
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