Team Bittel
 

21.05.2011 - Der 39. Rennsteig  

Autor:  RobertKrümmel   E-Mail: RobertKruemmel§web.de
Letzte Änderung: 16.06.2011 01:52:59

Alle tausend Fragen sind verflogen, als ich am Start stehe. Mein 1. Ultralauf. Wird es gut gehen? Unvorstellbar...

21.05.2011, 05:20. Ich stehe auf dem Marktplatz in Eisenach. Plötzlich ist die Aufregung der letzten Tage und Wochen wie weggeblasen. Sämtliche Fragen, mir immer wieder gestellt, spielen nun keine Rolle mehr: Haben die Trainingskilometer ausgereicht? Wird das ewig nervende Fußgelenk durchhalten? Wie reagiert mein Magen-Darmtrakt auf die Strapazen? Was soll ich anziehen? Was kommt nach 40km? Was mache ich überhaupt hier, nach gerade mal 1 Marathon vor 2 Jahren? - Alles unwichtig! Nun steh ich hier bei bestem Laufwetter und kann und will hier nicht mehr weg!

Christiane und Micha stehen mit mir hier und drücken mir die Daumen. Nach einer relativ entspannten Nacht im Wohnmobil (ich konnte erstaunlich gut schlafen), ging es heute früh schnell: Sachen ordnen, lieber zu viel als zu wenig eincremen, kurz noch mal den Fuß getestet (bringt eh nix, zwickt nach wie vor). Christianes Handynummer wollte ich mir noch hinten auf die Startnummer schreiben (warum hab ich die eigentlich nicht im Kopf?). Das sollte sich später noch als Fehler herausstellen.
Und dann? Was ißt man am besten vor solch einem Lauf? Ein belegtes Brötchen vom Vortag, eine Tasse Kaffee und etliche Schluck Wasser. So also sieht sie aus, die Henkersmahlzeit. Bis zum Start am Marktplatz in Eisenach sind es nur 5 Minuten. - Ich blicke mich um und sehe sie, die alten Haudegen, zu x-ten Male dabei, verdienen meinen höchsten Respekt! Ich sehe auch, wie am Vorabend schon, etliche Läufer, die um einiges fitter aussehen als ich mit meinen 90 Kilos. Ich beruhige mich dann selbst, in dem ich mir mein monatelanges hartes Training vor Augen führe.

Die zeiger gehen gen 6 Uhr. Verhaltene Stimmung, natürlich das Rennsteiglied. Und dann? Motorengedröhn über uns: Der Helikopter des Fernsehens kreist über dem Platz. Genau so, wie ich es in etlichen Laufberichten gelesen hatte! Immer noch ruhig wird mir plötzlich bewusst, dass ich gleich eine Strecke laufen werde, die ich mir nicht einmal ansatzweise vorstellen kann. Das Erscheinen dieses kleinen Hubschraubers (sieht aus wie ne Wespe) trifft mich mehr als der Startschuss. Ich verabschiede mich von Christiane und Micha und reihe mich im hinteren Drittel ein.

Dann geht´s los. Gemütlich setzt sich die Masse in Bewegung. Zur Sicherheit drück ich auf meine Stoppuhr, die ich Mitte der 90er für 5 Mark auf einem polnischen Basar erstanden habe. Nix Hightech. Ich wundere mich sowieso, was manche Läufer ausrüstungstechnisch alles haben. Ich bin da eher hausbacken, sind es doch meine Füße und vor allem mein Kopf, die mich irgendwie ins Ziel bringen müssen.

Bei den ersten vorsichtigen Laufschritten merke ich, dass mein Fuß wohl mitspielen wird. Erste Erleichterung kommt nach wochenlangem Zweifel auf. Durch die Fußgängerzone geht es, begleitet vom Applaus der Eisenacher Frühaufsteher. Dann die Dr.-Moritz-Mitzenheim-Strasse hinauf. Der erste Anstieg. Alles im Lack. Ich habe mich gedanklich unzählige Male auf die vielen Anstiege vorbereitet und mir immer wieder vorgebetet, die ersten 50km langsam anzugehen. Die ersten fünfzig Kilometer! Wie das klingt. Ich mag gar nicht weiter drüber nachdenken und laufe, gezogen von der Masse gemächlich mit. Nur nicht überanstrengen! Dies soll mein Mantra für die ersten 50 sein.

Bereits beim Verlassen der Stadt geht mir das Herz auf. Welch schöne Landschaft! Und dann dieses herrliche Wetter. Die Sorgen der Kleiderwahl erübrigten sich am Morgen recht schnell. Knielange Laufhose, kurzes Shirt und eine leichte Mütze waren heute die Wahl. Nach ersten Staus, versuche ich langsam meinen Rhythmus zu finden. Gelegentlich „fliehe“ ich vor Läufern, die sich hinter mir zu laut unterhalten. Wie haben die noch Luft zum Laufen? Diese Fluchten bestehen aber nur aus ein paar schnellen Schritten – nicht überanstrengen! Nach 3 km hänge ich mich an ein Läuferpärchen, die in meinen Laufrhythmus haben. So vergeht der Weg bis zur ersten Verpflegung. An dieser Stelle möchte ich mit dem Mythos aufräumen, dass es die ersten 25 Kilometer nur bergauf geht. Sicherlich gibt es sehr steile Anstiege, aber die Bergabpassagen sind auch nicht ohne.

Nach 7km erreiche ich die Getränkestelle Waldsportplatz. Ich habe mir vorgenommen, alles was möglich und mir bekömmlich ist, aufzunehmen. Bei den Trainingsläufen stellte ich immer wieder fest, dass mein Salzverlust im Körper enorm ist. Soweit wollte ich es nicht kommen lassen, also immer kräftig zulangen. Sicherheitshalber habe ich noch ein paar Taschentücher mitgenommen, man weiß ja nie.
Hier genieße ich jedoch erst einmal den Morgentee, der um diese Zeit angenehm warm ist und spüle noch mit 2 Bechern Wasser nach. Alle Verpflegung und Getränke nehme ich im Stehen bzw. schnellem Gehen zu mir. Das mit dem Verpflegen während des Laufens war noch nie meine Sache.
Weiter geht es leicht bergauf bis zur eigentlichen Einmündung in den Rennsteig. Ich kann mich aber beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, diese bewusst wahrgenommen zu haben. Glücklich bin ich, als ich vor mir das Pärchen wieder entdecke, dem ich gut folgen kann. Die nächsten Kilometer verlaufen wellig und lassen sich gemütlich durchlaufen. Oh, schon der nächste Verpflegungspunkt! Ich verspüre an der Getränkestelle Ascherbrück weder Hunger noch Durst, aber egal. Rein mit diesem wirklich leckeren Tee und noch 2 Bananenstückchen, zum Abschluss noch einen Becher Wasser.
Diese ersten Kilometer bieten so viel Abwechslung, dass ich nicht im Geringsten irgendeine Anstrengung verspüre. In die steilen Anstiege laufe ich so weit es geht hinein, sobald sich vom Gefühl her mein Puls erhöht, gehe ich sofort in einen strammen Laufschritt über, um am Ende des Anstieges sofort weiter zu laufen.

Dann passiert´s. Bei einem steilen Abstieg bleibe ich irgendwo hängen und schon liege ich. Welch Ärgernis, hatte ich mir doch immer wieder vorgebetet, die Füße zu heben. Freundlicherweise hilft mit ein Läufer aus Cottbus (lese ich am Shirt) schnell auf. Ich bedanke mich im Weiterlaufen und checke erst mal kurz die Lage. Alles noch beweglich. Gott sei Dank! Erst nach einigen Metern merke ich, wie Knie und Hand brennen. Das Knie ist aufgeschürft und blutet etwas. Na ja, das kennt man ja aus Kindertagen. Aber die Hand? Au Backe! Doll am Bluten und das genau in der Falte der Lebenslinie. Das erweist sich jedoch als glücklicher Umstand, da ich durch das Zusammendrücken der Hand die Blutung unter Kontrolle bekomme. Dem hochgewachsenen Läufer aus Cottbus begegne ich noch etliche Male. An den Steigungen bin ich immer schneller. Jedoch bergab, gerade bei sehr steilen Passagen legt er ein enormes Tempo vor. Ich hingegen bin bei den steilen Stücken nach dem Sturz etwas vorsichtig. Kurz nach meinem Malheur erreiche ich die Verpflegungsstelle Glasbachwiese bei km18, wo zum ersten Mal der sagenumwobene Haferschleim ausgeschenkt wird. Probieren wollte ich den auf alle Fälle, soll er doch sehr bekömmlich und magenschonend sein. Aber wer hätte gedacht, dass der so lecker schmeckt! Also nehme ich gleich 2 Becher. Ah, hier gibt es auch Salz! Die erste Prise gebe ich mir in einen Becher Cola. Doch das hätte ich lieber lassen sollen. Fürchterlich! Na ja, so lernt man dazu. Das nächste Mal eben anders.
Weiter geht es stetig bergauf. Ich bin nach wie vor dabei die herrliche Landschaft zu bewundern. Mitunter erhascht man auch mal eine Panoramaaussicht inmitten des Waldes. Das Pärchen, welchem ich zu Anfang folgte, habe ich mittlerweile hinter mir gelassen. Permanent bin ich dabei in mich reinzuhorchen bzw. mich zu bremsen, und ich glaube bereits jetzt, dass diese Taktik nicht die schlechteste ist, zumal es bereits auf den Großen Inselsberg zugeht, und ich noch keinerlei Ermüdungserscheinungen verspüre. Die Geschwindigkeit liegt zwar weit hinter der meiner Trainingsläufe zurück. Jedoch kommt ja noch einiges, und in Schleswig-Holstein solche Steigungen ins Training einzubeziehen, ist nun mal unmöglich. Zwar habe ich im Vorfeld alle Hügelchen im Trainingsumkreis unter die Füße genommen, aber im Vergleich hierzu – lächerlich!
Nun kommt er also, der Anstieg zum Inselsberg. Ja, schon steil. Noch steiler? Also gut, gehen. Hier läuft in meiner Umgebung keiner mehr. Und die, die´s doch versuchen sind allesamt langsamer als die Geher. Langsam merke ich, dass ich beim Bergaufgehen viele Mitstreiter überhole.
Da kommt das 25 km-Schild, kurz danach der Gipfel des Inselsberges mit den zwei Türmen. Der erste Fixpunkt meiner gedanklichen Einteilung ist erreicht. Ab jetzt werde ich mir die Strecke konsequent in Teilabschnitte aufteilen. Bloß noch nicht an das große Ganze denken! Erst mal geht´s aber die Treppen runter. Kein Zucken oder Krampfen in den Muskeln. Auch die Knie spielen wunderbar mit. Auf dem Parkplatz unterhalb des Inselsberges drehe ich mich um. Von genau dieser Stelle gibt es ein Bild von mir, wie ich als Knirps neben dem Kinderwagen stehe. Wer hätte gedacht, dass ich noch mal unter diesen Umstanden gut 33 Jahre später an gleicher Stelle stehe. Genug Vergangenheitsbewältigung, schließlich folgt jetzt ein kurzer Abschnitt, der sich gewaschen hat. So einen steilen Abstieg habe ich noch nie laufend bewältigt. Der sehr griffige Asphalt ist über und über mit Fichtennadeln bedeckt. Nicht auszudenken wie es ist, wenn es hier geregnet hat. Das Laufen erinnert an dieser Stelle nicht wirklich an selbiges. Hier sollte der MDR mal eine Kamera aufstellen. Das könnten lustige Bilder werden. Da sehne ich mich eher wieder nach einem Anstieg.
Es folgt der Verpflegungspunkt Grenzwiese mit allem was das Läuferherz begehrt. Neben Schleim, Limo (hab ich mit zunehmender Streckenlänge sehr zu schätzen gelernt) und Cola. Es wird wieder Salz angeboten. Dieses gebe ich diesmal ins Wasser bzw. auf ein Stück Zitrone. Das klappt schon besser. Von den ausgelegten Broten traue ich mich nur an ein Weißbrot mit Schnittlauch heran. Alles weitere, so lecker es auch aussieht, lasse ich links liegen, da ich nicht sicher bin, wie mein Bauch darauf reagieren wird.
Neben der Verpflegung, bringen einen regelmäßig die Anfeuerungsrufe der Zuschauer und Helfer weit nach vorn. Man kann dies nicht mit der Stimmung bei einem Stadtlauf vergleichen, aber sich in aller Frühe mitten in den Wald zu stellen und wildfremde Menschen anzufeuern, ist um so höher einzuschätzen. Danke noch mal Euch allen!!!

Der nächste von mir angepeilte Punkt ist die Ebertswiese bei km37,5, also die Hälfte der Strecke. Weiter mag ich erst mal nicht denken. Noch kann ich nicht viel Läuferisches berichten. Es läuft halt. Ich versuche ohne Hightechuhr etwa 9 km/h zu laufen. Berg hoch natürlich langsamer, dafür lass ich´s bergab rollen. Gelegentlich will mir mein Kopf einen Streich spielen und Müdigkeit an die Beine senden. Jedoch bekomm ich das gut in den Griff. Nächste Getränkestelle noch 500 m, steht auf dem Schild. Sollte das jetzt schon die Ebertswiese sein? Leider nicht, und ich versuche, Enttäuschung nicht aufkommen zu lassen. Also schnell Getränke fassen und weiter geht´s. Zwischendurch immer wieder dem Laufgott für das herrliche Wetter gedankt. In der Sonne wird es für kurze Zeit heiß, dies bekomme ich jedoch mit der hellen Mütze gut unter Kontrolle. Zwischen den Bäumen ist es eh wieder kühl. So Gedanken und Beine laufen lassend, erreiche ich die Ebertswiese. Ein paar Sekunden nach meinem Eintreffen verkündet der Sprecher, dass eben 1.000 Läufer die Ebertswiese passiert hätten. Da ich relativ weit hinten gestartet war, liege ich gar nicht so schlecht. Doch was soll das? Ich habe mir nur ein Ziel gesetzt: Ankommen und wenn möglich unter 9 Stunden, da ich keine Erfahrung habe, was auf so einer langen Strecke mit mir passieren wird. Wie alle anderen Verpflegungsstellen ist auch diese sehr liebevoll anrangiert. Und wieder Tee, reichlich Wasser, Cola, Salz und Zitrone und natürlich Schleim, diesmal in der Variante Heidelbeere mit ganzen Früchten. Auch nicht schlecht. Es stehen weitere deftige Leckereien zur Auswahl, aber da bin ich vorsichtig. Anschließend versuche ich mir an einer kleinen Quelle den Dreck von der Hand und dem Knie zu spülen, mit dem Erfolg, dass ich nasse Füße bekomme.

Zweite Hälfte.

Den steilen Anstieg nach km37,5 nehme ich wie immer im strammen Gehschritt. Nun lege ich mir gedanklich den Weg bis zum Grenzadler zurecht. Von der Kilometeranzahl eine Runde, die ich öfter des Abends gelaufen bin. Im Nachhinein möchte ich dieses Stück als die „Kaugummikilometer“ bezeichnen. Sie waren zwar nicht anstrengender als alles andere zuvor, jedoch zogen sie sich ewig hin. Etwas nach dem 40-km-Schild wird mir bewusst, dass ich nun einen Marathon absolviert habe. Nun beginnt das Neuland. Ein kleines Glücksgefühl kommt auf. Ich liege zwar fast um eine dreiviertel Stunde hinter meiner Marathonzeit von 2009, jedoch geht es mir im Vergleich zu damals blendend und der Marathon damals führte durchs flache Hamburg. Somit bin ich zufrieden. Kurz falle ich noch mal hin. Bergauf! Na ja nix passiert und weiter. Fast ergreifend wird es, als ich das 50-km-Schild zu sehen bekomme. So etwas habe ich bislang noch nicht bei einem Lauf gesehen. Ähnlich geht es wohl einem Läufer, der sich selbst vor diesem Schild fotografiert. Dann ist der Grenzadler erreicht. An den Gedanken hier mit Zeitnahme auszusteigen, verschwende ich keine Sekunde. Klar schleicht sich jetzt auch körperlich die Anstrengung ein, aber ich habe mir für die letzten Kilometer noch was vorgenommen. Mittlerweile sieht es laut meiner Hochrechnung nach einer 9-Std-Zeit aus, jedoch gequält habe ich mich noch nicht. Damit der entspannte Zustand noch anhält, greife ich bei der gereichten Brühe kräftig zu. Dieses Salz – Retter in der Not! - Nun der Abschnitt bis zur höchsten Stelle des Laufes. Gar nicht mal so weit, und meine Miene hellt sich auf. Aber weiter ruhig. Jetzt nur nicht hektisch werden. Aber – längst kein Halbmarathon mehr, der noch vor mir liegt. Und den schafft man doch immer, so der alte Spruch. Bei den folgenden Anstiegen zeigt sich, wer sich seine Kraft gut eingeteilt hat und bei wem jetzt die Kräfte nachlassen. Ich kann mich wieder einem Dreiergrüppchen anschließen. Jetzt merke ich, dass ich an Geschwindigkeit zulege und immer weiter in die Anstiege hineinlaufen kann. Meine Glücksgefühle häufen sich, tat ich mich doch in den letzten Wochen aufgrund meiner Fußleckage schon manchmal auf 20 km schwer. Und nun das, nach dieser Strecke, unglaublich. Jedoch will ich immer noch nichts übereilen. Nun kommt der höchste Punkt der Strecke. Schon oft in Laufberichten gesehen, aber relativ unspektakulär auf ebener Strecke. Ab jetzt soll es mit meinem zurecht gelegten Endspurt los gehen. Jedoch zuvor noch mal schnell zum Wasserabschlagen in die Büsche. Aber vorher noch ein kleines Stück laufen. Da das Schild mit dem höchsten Punkt gern als Fotomotiv von Läufern genutzt wird, möchte ich nicht pinkelnd den Hintergrund des Fotos verderben. So, nun zurück auf die Strecke und los. Herrlich lang bergab und es läuft! Der Himmel verdunkelt sich und es fallen erste Tropfen. Aber von jetzt an geht´s immer schneller. Den Verpflegungsstand Schmücke noch schnell mitgenommen und weiter, weiter, weiter.
Starker Platzregen setzt ein und ich renne wie von Sinnen. Hab ich mich bislang nicht gequält, so tue ich das jetzt ausgiebig. Ich weiß, ich werde ankommen! Kurz gerät sogar eine Marke unter acht Stunden in mein Blickfeld, aber dafür wird es dann doch noch zu weit sein. Andere Begleiter denken sicher auch an diese Marke, denn um mich rum rennen plötzlich alle wie wild. Ein Anstieg kommt noch, in den ich ziemlich weit hinein renne, aber die letzten Meter doch noch gehe. Es bleiben ja immer noch ein paar Kilometer zu laufen. Die letzte Verpflegungsstation überrenne ich aber.

Jetzt wird´s haarig! Die letzten Kilometer nehmen einfach kein Ende! War mein Spurt zu früh? Grade als ich auf einem ebenen Stück das Gehen anfangen will, ermuntert mich ein Läufer im Biel-Finisher-Shirt. „Du hast uns vorhin so motiviert, jetzt komm. Da geht noch was!“ Was meint er mit motiviert, denke ich noch und setze mich wieder in Bewegung. Dieser Tritt in den Allerwertesten kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Also noch mal Tempo bis zum km72–Schild. Was für ein Gefühl. 72 km ! Aber auch die letzten 700 Meter können noch verdammt lang sein. Irgendwie noch mal gepumpt und dann ins schönste Ziel der Welt!
Geschafft!!!!

Aber kein Jubelschrei, kein Hochgefühl. All dies hatte ich schon auf den letzten 12 km gehabt. Es Bleibt nur ein unglaubliches Staunen, wie gut ich alles überstanden habe. Eine große schöne Verwunderung. Nach 4 Bechern Getränke und ein wenig Dehnen, treffe ich den Kollegen wieder, der mich vorhin so gelungen antrieb. Er erzählt mir, dass ich einige Läufer auf dem letzten Stück hinter mir herzog. Jetzt konnte ich mir auch seinen Spruch von vorhin erklären.

Die nächsten zweieinhalb Stunden verbringe ich recht abenteuerlich, leicht hinkend auf der Suche nach Christiane und Micha. Sie wollten ab 14:00 Uhr am Ziel sein, doch ist niemand zu sehen. Immer wieder laufe ich, oder vielmehr ich versuche, auf und ab zu laufen, um sie zu entdecken. Vergebens. Langsam mache ich mir Sorgen, zumal ich keine Telefonnummer (hier wieder der Bezug zum Start) habe.
Als ich irgendwann einen Sitzplatz finde, spricht mich ein Läufer aus Österreich an. Er sieht erstaunt auf meine Urkunde und staunt, dass ich ihm zum Ziel hin noch 10 Minuten abgenommen habe, wo er doch vorher die ganze Zeit in meiner Nähe lief. Zu meiner Schande muss ich ihm gestehen, dass ich ihn gar nicht bemerkt hatte. Netterweise stellt er mir sein Telefon zur Verfügung und so kann ich über den Umweg über Christianes Mutter die beiden doch noch erreichen. Dies dauerte aber eine Stunde. Ich unterhalte mich noch eine Weile mit dem unbekannten Läufer (leider weiß ich den Namen nicht mehr, aber noch einmal vielen vielen Dank für das Telefon!). Dann muss ich mich aber verabschieden, um mich an einen besser einsichtigen Platz zu stellen. Nach ewiger Zeit finden meine Begleitung und ich endlich zueinander. Micha hat mich als erster erspäht. Welch eine Wiedersehensfreude, habe mir in der Zwischenzeit doch ernsthafte Sorgen gemacht. Letztendlich waren wir nur 200 Meter voneinander entfernt. Die beiden Experten standen am Zielanstieg vom Marathon und dachten, dort komm auch ich vorbei.

Nun kann ich endlich duschen! Kurz die Blessuren besehen. Außer den Sturzverletzungen erinnert nur eine kleine Blase an diesen herrlichen Lauf.

Fazit: Bislang kann ich mir keinen schöneren Lauf vorstellen. Die Freude über das Erreichte ist riesengroß. Und es ist tatsächlich zu schaffen. Ich habe zirka 1000 Trainingskilometer in den letzten 3 Monaten absolviert, bin den Lauf ruhig und besonnen angegangen und habe mich ausreichend verpflegt.

Vielen Dank an Christiane und Micha für die moralische Unterstützung und die vielen Begleitkilometer auf dem Fahrrad im windigen Schleswig–Holstein. Vielen Dank auch an die Mitglieder vom Team Bittel, vor allem Erwin, Dieter und Thomas, deren Bildberichte ich verschlungen habe. Diese haben immer wieder zur Motivation beim Training beigetragen. Ihr kennt mich noch nicht, aber danke!

Es ist schön, nach 72,7km in 08:11 Std. mit einem Lächeln durchs Ziel zu laufen und 2 Tage später schon wieder fit zu sein und mich auf den nächsten lauf zu freuen.

Robert
Weiterführender Link zum Thema: Rennsteig-Bildbericht von Erwin
 
[team/fuss.htm]