Team Bittel
 

16.05.2009 - Rennsteiglauf (73km)  

Autor:  MartinJansen   E-Mail: MartinJansen2000@yahoo.de
Letzte Änderung: 24.05.2009 21:07:56

Wer etwas auf sich hält in dieser Welt, der läuft von Eisenach nach Schmiedefeld, so lautet das Motto. Wieder fand sich die Ultramarathon-Gemeinde in Thüringen ein, um sich den 2.500 Höhenmetern (1.500m hoch und 1.000m runter) zu stellen.


Bereits am Vortrag reiste ich früh aus dem Ruhrgebiet an, um mir die Sehenswürdigkeiten anzuschauen. Zuerst ging es zur Wartburg, Deutschlands berühmteste Burg und Unesco Weltkulturerbe. Da sie in Sichtweite von Eisenach liegt, erfuhr ich bei einer schönen Führung eine Menge Geschichte und Geschichten über die heilige Elisabeth, Martin Luther und das Thüringer Land.

Eisenach und seine 60.000 Einwohner hatten sich herausgeputzt, um die Läuferschar gebührend zu empfangen. Warum der Rennsteiglauf 2008 in Europa auf Platz 1 der Wertungen "Landschaftslauf" und "Ultramarathon" gelandet ist, bekam ich spätestens im Wettkampfbüro zu spüren. Alles war toll organisiert und jeder Läufer bekommt für sein Geld eine Menge geboten. Angefangen von der Kloßparty, über die legendäre Unterbringung im Elisabeth-Gymnasium bis hin zum Shuttle-Service blieben keine Wünsche offen.

Gegen 20h fuhr ich nach der obligatorischen Kloßparty zurück ins Massenlager Gymnasium. Noch blieben 10 Stunden bis zum Start und die Spannung war zum Greifen nahe. Fast jeder war nur noch mit sich selber beschäftigt und voll fokussiert auf dem langen morgigen Tag.

Die letzten Stunden vor dem Start. Wenn man sich mit über 10 Leuten ein Zimmer teilt, kann der Schlaf nur unzureichend sein. Um 3.15h stand der erste auf und gegen 4.15h bin auch ich mit den letzten aufgestanden. Packen, Essen, Fertigmachen laufen automatisch ab. Bei mir klappt alles reibungslos und ich werde pünktlich fertig. Seit 4.30h fahren unermüdlich Pendelbusse die Läufer zum Start und so komme auch ich gegen 5.35h am Marktplatz (=Start) an. In der Nacht hatte es heftig geregnet, doch nun ist der Himmel nur noch wolkenverhangen. 11°C und mäßiger Regen sind angesagt. Ich habe mich trotzdem für T-Shirt und kurze Hose als Wettkampfkleidung entschieden. Gut so!

Während die letzten Minuten verstreichen, frage ich mich, was ich hier eigentlich mache. Um mich herum sehe ich fast nur Leute, die älter oder viel älter sind als ich. Sie tragen Shirts von vergangenen Taten, z.B. Biel-100km-Finisher oder 100-Marathon-Club-Deutschland. Diese Veteranen haben viele Zehntausend Trainingskilometer mehr als ich in den Beinen.

Über dem Markt kreist ein Hubschrauber und der Sprecher stellt die Läufer vor, die bereits zum 20mal oder häufiger teilnehmen. Mir ist mulmig zumute, wenn ich daran denke, dass ich wegen meines Knies kaum trainieren konnte. Ähnlich wie beim Jungfrau Marathon 2008 kann es für mich nur darum gehen, irgendwie im Zeitlimit zu bleiben und nach Möglichkeit nicht Letzter zu werden. Mit den Worten "wir sehen uns alle lebend und gesund in Schmiedefeld wieder", geht es auf die Strecke. Ja, denke ich, genauso ist es!

Schmerz ist unvermeidlich, Leiden ist eine Option

Nach einer kurzen Runde durch Eisenach geht es steil bergan. Die Wege sind durch den Regen total matschig. Schön ist was anderes. Vor mir liegen fast 73km durch den Thüringer Wald. Eine unvorstellbare Strecke. Bei km7,4 stoßen wir auf den Original-Rennsteig. Die Zuschauer jubeln und der MDR filmt eine Reportage für die Nachrichten. So zieht der Lauf dahin. Ab km10 kommt nur noch in 5km-Abständen ein Hinweisschild, damit man grob weiß, wie weit man schon gekommen ist. Jeder Läufer versucht seinen eigenen Rhythmus zu finden. Ich mache bewusst kleine Schritte mit ganz geringem Kniehub um die Knie zu entlasten. Die größeren Ansteige sind nur gehend zu machen, was eine kurze Erholung bringt. Mit dem Inselsberg bei km25 ist der erste Hochpunkt erreicht. Er liegt im Nebel und auf dem nächsten km geht es steil 200m runter. Ich gehe langsam, aber meine Oberschenkel finden das nicht lustig. So stark ich bergauf bin, bergab fehlt mir eindeutig das Training. Bei km30 komme ich in 3:36h durch. Ein Nachbarläufer hat den gleichen Gedanken wie ich, "jetzt noch einen Marathon und wir sind durch. Ich schaue, ob ich ihn in 4:40h schaffe". Mir persönlich reicht es schon, wenn ich irgendwie durchkomme. Der Ultraläufer ist eine besondere Spezies. Alle Laufstile sind vertreten. Der eine grunzt alle 3 Schritte wie ein aufgebrachtes Nashorn. Der nächste redet beim Laufen wie ein Wasserfall. Aber nett sind sie alle.

Die Marathondistanz durchlaufe ich in 5:10h. Alle 5km gibt es einen Getränke- oder Verpflegungsstand. Den legendären warmen Schleim gibt es in den Geschmacksrichtungen Heidelbeere und Orange, ansonsten reichlich Obst, warmen Tee, Vita-Cola und Fettbrote. Lediglich die Bockwürstchen lasse ich liegen. Das ist mir doch ein bisschen zu heikel.

Bei km54 erreiche ich den Grenzadler. Hier besteht die erste Möglichkeit auszusteigen. Nun geht es schon deutlich schwerer. Ich liege etwa 100 Minuten unter dem Zeitlimit und registriere die ersten Läufer, die sich behandeln lassen. Nun überhole ich immer wieder Wanderer. Das gibt Selbstvertrauen und macht Mut. Ich wollte, ich könnte berichten, dass die letzten 19km ein einziger Rausch gewesen sind. Aber in Wirklichkeit werden sie zu einer einzigen Tortur. Es geht sehr zäh und ich komme fast nur noch gehend vorwärts. Kurz vor dem 60km-Schild überholt mich Erwin Bittel mit Julio, Harald und Bodo im Schlepptau. Damit hätte ich nicht gerechnet: Ich bin fast 60km lang vor Erwin gewesen? Donnerwetter! Die Freude währt nur kurz, denn im lockeren Laufschritt erklimmt Erwin mit seinem Cowboyhut die nächste Steigung, als wäre es bisher nichts gewesen. Da merkt man, wer der Profi ist. Bis zum Ziel habe ich mir über einer Stunde Rückstand eingehandelt. Aber ich kann und will jetzt auch nicht noch Krämpfe riskieren.

Durch den zugigen Wind wird mir nun kalt. Aus unerklärlichen Gründen lässt Schmiedefeld verdammt lang auf sich warten. Schließlich kommt das Schild "km 71" und ich kann den Lautsprecher hören. Mann, bin ich platt! Alle Akkus laufen auf totaler Reserve, als ich auf die Zielgerade einlaufe. Mit Riesen-Tamtam werde ich begrüßt, als wäre ich der Führende. Die letzten Meter vergesse ich kurzfristig alle Schmerzen und genieße den totalen Triumph.
10:12h steht auf meiner Stoppuhr, als ich jubelnd die Arme hochreiße.Wer hätte das gedacht, ich habe es wirklich geschafft und mich selber besiegt.

Im Ziel folgen die üblichen Rituale. Gepäcksuche, Trinken, Siegesfotos und Check der Blessuren. Vermutlich kommt niemand unbeschadet durch einen Ultramarathon. Mir ergeht es natürlich auch so. Der Trinkgürtel hat am unteren Rücken und der Hüfte unschöne Hautreizungen hinterlassen. Der linke Fuß hat eine üble Druckstelle am Mittelfußknochen, denn durch das Anschwellen der Fußes ist die Schnürung zu eng geworden. Während des Laufes dachte ich noch, es könnte ein Ermüdungsbruch sein, doch das hat sich nicht bestätigt.

Beide Knie sind dick geschwollen und durch die Belastung weit jenseits einer üblichen Überanstrengung. Na ja, das wird schon wieder werden. Dass ich in 25 Tagen im Rahmen einer Charity-Aktion mit dem Fahrrad über die Alpen fahren will, erscheint mir so wahrscheinlich wie eine baldige Fußball-Meisterschaft von Schalke. Zurzeit schaffe ich es kaum ins Badezimmer. Da erscheint die Route Mailand-St.Gotthardt-Basel-Mainz-Düsseldorf abwegig. Aber noch ist ja Zeit zur Regeneration. Die einstündige Rückfahrt im Bus nach Eisenach ist durch angenehme Erschöpfung gekennzeichnet. Viele hängen ihren Gedanken nach, andere schlafen. Heute sind wir alle Sieger!

Ich entschließe mich noch am selben Abend ins Ruhrgebiet zurückzufahren. Der Thüringer Wald mit seinen idealen Trainingsmöglichkeiten begleitet mich noch ein Stück des Heimweges. Schön ist es gewesen in Deutschlands grüner Mitte. Aus den Boxen brummt der Bass. In diesem Jahr werde ich ganz sicher keinen Ultra mehr laufen! Aber vielleicht im nächsten. So ein paar Klassiker gibt es schon noch zu erobern. „Ultra-Läufer Martin“, wie hört sich das an? Noch ist es ungewohnt und ganz frisch. Doch es hört sich toll an!

Es grüßt der Ultra-Läufer Martin.


Viele Fotos gibt es unter

Weiterführender Link zum Thema: Fotos von Martins 1. Ultralauf Rennsteig 2009
 
[team/fuss.htm]