Team Bittel
 

19.04.2009 - Leipzig Marathon  

Autor:  BertSchreck   E-Mail: bertschreck§aol.com
Letzte Änderung: 26.04.2009 01:51:30

Optimal vorbereitet. Dann versagt meine Technik am Start. Oh Schreck. Mein Ziel die Schallmauer 3:30 h versinken im Ärger.
Erwin habe ich vor einem Jahr beim Rennsteiglauf. Die team-bittel-Berichte sind immer lesenswert und motivierend. Heute bin ich einmal dran.

Jetzt, einen Tage danach, sitze ich im Flieger und habe die Muse Euch an meinem Wochenend-Marathon-Erlebnis teilhaben lassen. Alles war lang geplant. Schon im Dezember 2008 hatte ich mich angemeldet. Nicht wegen der damals sau-günstigen Anmeldegebühr von nur 25 Euro, sondern als Vorbereitung für den Rennsteig-Supermarathon. Da ich den Winter bei allen Wettern durchtrainiert hatte, wieder die Ernährung auf gesund umgestellt und Gewicht wesentlich reduziert hatte (von 68 auf 62kg bei 1.66 "Länge"), kam mir auch der Gedanke, eines meiner sportlichen "Lebensziele" dort umzusetzen. Ich wollte einmal im Leben einen Marathon in 3:30 h bewältigen. Meine Bestzeit lag vorher bei 3:41 h, eine Zeit, die ich nur "halbtot" 2007 erreicht hatte, beim selben Mitteldeutschen Marathon, meinem ersten übrigens.
Vollkommen austrainiert, nicht übertrainiert, mit traumhaften, vorher nie erahnten Pulswerten beim Training, wollte ich nun alles richtig machen und meine persönliche Schallmauer durchbrechen. Obwohl aus dem nur 100 km entferntem Gera kommend, bin ich schon am Vorabend angereist. Nach dem "Einchecken" einem halben Teller Nudeln (Kohlenhydrate hatte ich schon vorher genug gebunkert), einem Freibier und -wasser, habe ich mich gegen 22 Uhr in meinem Kombi schlafen gelegt. Was als richtig erholsames Schlafen geplant war, war ein unruhiges Hin- und Herwälzen. Trotzdem frisch aufgewacht und mich bald startfertig gemacht. Gegen 9 Uhr (Start war um 10 Uhr) habe ich mich mit Wolfi, Zwecke und Mascha, eine laufverrückte Familie, original aus Gera stammend, jetzt in Bayern lebend, verabredet. Wolfi und Zwecke kenne ich schon aus Kindergarten- und Schulzeiten und Masche (Kathleen) ist deren Tochter.
Wolfi, 100km von Leipzig letztes Jahr, "Liebhaber" von Bergmarathons und dem langen Rennsteig, war einen Tag zuvor den Kyffhäuser Marathon gewatet (es muss super schlammig gewesen sein) und wollte seine "Weiber" in Leipzig auf den letzten 21km des Marathons als Hase begleiten.

Kurz und gut, irgendwann begaben wir uns alle zum Start. Die schon seit dem Vortag hochkommende Aufregung verstärkt sich. Noch 10 Minuten. Jetzt fiel mir ein, dass ich mir doch meine Durchgangszeiten für die 3:30 h-Zielzeit auf den Arm schreiben wollte. Vergessen! Sch…! Und hast Du Deinen Polar Laufsensor überprüft? Ich muss dazu sagen, dass der ab und zu spinnt, wenn ich das Territorium wechsle. Also die Elektronik angeworfen und oh Schreck, die Uhr hat den Sensor nicht erkannt. Wolfi, schrie ich verzweifelt, hast Du eine Münze. Er hatte. Mit einem Zwei-Euro-Stück den Sensor aufgeschraubt, Batterie raus, Batterie rein. Nicht gefunden. Rein, raus. Nicht gefunden. Noch 2 Minuten. Gefunden. Puls bereits auf 140! (Puls 138 hatte ich Durchschnitt beim letzten Trainingshalbmarathon im 3:30 h-Tempo). Total wirr im Kopf überkletterte ich die Absperrung zur Startaufstellung, stürzte aufs rechte Knie, was ich seit Sonntagabend deswegen kühle, und riss aus Versehen eine Werbebande herunter. Gerade hatte ich es noch geschafft den 3:30 h-Ballonläufer vor dem Start zu interviewen. Als der mir sagte, dass er die ersten Kilometer in 4:45 min/km laufen will, ging mein Puls weitere 10 Punkte hoch. Viel zu schnell für meinen Plan. Was tun, wenn mein Sensor doch nicht funktioniert? Startschuss, der Sensor geht. Die ersten Meter in 4:40 min/km Tempo: Drosseln. Puls jetzt schon auf 160! Das hält doch kein Schwein durch. Der 3:30 h-Ballonläufer entschwindet langsam mit seiner Truppe. Bert, beherrsch Dich, gehe langsam an. Ich drossele. Puls immer noch 160, Tempo etwa 5:10 min/km Tempo, das wenigstens wie angedacht. Gegenwind, Tempo geht runter 5:20 min/km, Puls 165. So ein Dreck! Du hast Dich so gut vorbereitet, wo ist das alles hin? Blick auf die Uhr, Geschwindigkeit 0:00:00. Der Sensor will nicht mehr, die böse Vorahnung wird war. Was jetzt? Mir fiel ein: Kopfrechnen. Um 10 Uhr gestartet, km-Markierungen sind vorhanden. Nach 3 Kilometern habe ich festgestellt, ich bin im Limit. Gute Nachricht. Aber der Puls? Weiterhin 165, wie soll ich das Durchstehen? Nun war mir alles egal und das war gut so, der Kopf wurde frei. Ich habe dann nach 8 km meinen Brustgurt abgemacht, damit die lästigen Pulswerte eliminiert und die Uhr auf das gestellt wird, wozu eigentlich eine Uhr da ist: Auf die Anzeige der Uhrzeit. Der Kopf wurde umgestellt von Stress auf Kopfrechnen und wahrscheinlich, keiner weiß es, ging mein Puls auch runter. Kurz vorher hatte ich 2 Leipziger Läufer avisiert, wo mir schien, dass sie auch auf 3:30 h gehen. Und ich hatte Recht. Kurz angeklopft und gefragt, Übereinstimmung erzielt, dass der Ballonläufer zu schnell für uns angeht und für die nächsten 15km war die Allianz geschmiedet. Danke an beide, unbekannterweise! Einer hatte später sein Zeitziel locker erreicht, der andere knapp verfehlt.

Mein Kumpel Wolfi hat mich auf der Hälfte der Strecke (2 Runden á Halbmarathon) abgepasst und nach meinem Wohlbefinden erkundigt. Da ging es mir echt wieder gut und ich konnte Ballast abladen (den überflüssig gewordenen Brustgurt). Bei KM25 war es dann soweit: Einer meiner netten Leipziger Lauffreunde und ich konnten zum Ballonläufer aufschließen. Wir haben uns ein paar Kilometer in dieser Truppe gehalten. Meinem Leipziger Kollegen war es dann zu langsam und er entschwand. Auch ich musste die illustere Truppe an einem Verpflegungspunkt hinter mir lassen. Da ich nicht aus dem Rhythmus kommen wollte, hatte ich mein Tempo an einer Verpflegungsstelle nicht wesentlich beim Wasseraufnehmen verlangsamt. Von da ab war es ein gutes und sicheres Gefühl, den Zeitläufer für sein eigenes Ziel hinter sich zu haben.

KM 35, der Schrecken vieler Marathonläufer. Ich lebe! Kenne meinen Puls nicht, horche in meine Muskeln (na, ihr kleinen Krämpfe, wann greift ihr an?) und träume vom Ziel 3:30 h. Ich rechne: Etwas über 1 Minute Reserve. Eine Minute, für irgend Krampfansätze, Dehydrierung, Schwäche, zuviel Sonne (es war sonnig, 16°C und zuviel Wind) oder andere Nettigkeiten.

KM38: Noch 4km. Oder: Nur noch 4km? Keine Probleme, aber doch langsam schwächer fühlend. Egal, an was Schönes denken. An Sex lieber nicht, das verbraucht zuviel Energie. Die Zeitreserve schmilzt. Oh Shit, die 195m nach km42 nicht mit einkalkuliert. Das ist 1 Minute, meine Reserve is futsch.

KM40, mein Kilometer des Schreckens. Für mich der längste Kilometer der Welt, ich darf nicht nachlassen, die Minute Reserve gibt es nicht, die gehen an die letzten 195 Meter. Bert, Du musst Adrenalin freisetzen!

Gehirn an Drüse: Bitte das Zeug rauslassen. - Drüse an Gehirn: Mit welcher Begründung? -Weeß ich och nich! Doch, ich hab was: „3:30“! Sag’s doch gleich. Es funktioniert. Der Kilometer des Schreckens liegt hinter mir, noch 600m zum Ziel, das hinter eine Kurve liegt und nicht zu sehen ist. Aber raffiniert: Am Ende der Geraden vor der Zielkurve ist eine elektronische Uhr aufgestellt. Von dort sind es noch 200m zum Ziel. Als ich nah genug ran bin sehe ich die Zeit: 3:28:35 h.

Gehirn an Adrenalindrüse: Massive Ausschüttung, lass ihn sprinten! Und tatsächlich: Mit einer wahrscheinlich zum Wahnsinn verkommenen Miene setze ich zum Sprint an. Nach der Kurve sehe ich das Ziel und bald erkenne ich die Zieluhr: 3:29:40, 45, 50... und bei 55 macht es PIEP. Das für mich so wichtiges PIEP. Wahnsinn, ich habe es geschafft!

Geschafft bin ich auch. Aber ich erhole mich schnell. Im großzügigen Zielverpflegungsbereich und danach bei der professionellen kostenlosen Massage tut man alles, um die Hobbykaputten schnell wieder Wohlfühlzustand erreichen zu lassen. Dazu vielleicht eine Tipp an die Organisatoren: Haferschleim auch während des Laufs gereicht, nicht nur im Zielbereich, würde sicherlich von vielen Läufern sehr begrüßt werden.

Nach der Massage zum Ziel. Und dort traf ich dann auch wieder Wolfi, Zwecke und Mascha. Die Mädels hatten beide ihren 1. Marathon bestens überstanden und lagen sich nun vor Freude heulend in den Armen. Ich muss zugeben, in meinem heute noch anhaltenden 3:30iger Hochgefühl, hatte ich schwer zu kämpfen (bin ja ein Mann!), die Tränen dabei zu verdrücken.

Vielen Dank and die fleißigen, überaus lieben (so sind die Sachsen) Helfer und Organisatoren des Leipzig-Marathons!

Und Erwin, wieder Rennsteig? Ich habe es mir vorgenommen. Relaxt, ohne Stress, nur Ankommen ist wichtig und vielleicht funktioniert meine Elektronik dann...


Bert
 
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