Team Bittel
 

Das ultimative Marathon-Spiel  

Autor:  ErwinBittel   E-Mail: erwin@teambittel.de
Letzte Änderung: 21.06.2008 01:17:24

Ein unerfahrener Läufer tritt 2 Wochen nach seiner persönlichen Bestzeit wieder zu einem Marathon an. Mit viel läuferischem Sachverstand und klarer Analyse sollt Ihr die Zielzeit ermitteln.




Das neue Marathon-Spiel


WAHRER BRIEF AN SEINEN BESTEN FREUND:

„Hallo mein Freund,


kennst Du schon das neue Marathon-Spiel? Also, pass auf! Ich erklär’s Dir. Zuerst das Ziel des Spiels:

a) entweder Deine persönliche Bestzeit zu errechnen oder
b) den km an dem Du schmerzverzerrt aufgibst.

Alles Weitere ist im Folgenden beschrieben. Nun zuerst einmal zu den Rahmenbedingungen des Marathon-Spiels:

1. Die Tageszeit

Was wäre die ideale Zeit zum Laufen? Ach ja, abends. Hast Du mir ja schon mal gesagt. Genau: so ganz gemächlich in den Tag gehen, sich ruhig und langsam auf den Lauf einstellen können, sich vorbereiten, umziehen... Halt! - So, und jetzt stell Dir das Gegenteil vor: einen grauenden Morgen. Es ist Sonntag! Die Nacht war kurz und unruhig. Schrill hat Dich der Wecker auch in der kurzen Nacht noch gestört. Die Vögel zwitschern noch nicht einmal. Die Knochen sind steif und ungelenk. Du musst Dich ins kalte Auto setzen und laaange fahren.

***Hinweis 1:
Ausgangsposition vor dem Spielstart: Deine bisherige Bestzeit von 2:58:55 Stunden kreist sekündlich durch Deinen Kopf. Ebenso Deine Bestmarke des Halbmarathons: 1:23:59 Stunden (genaue 4:00 min/km). Besser kannst Du nicht. Deine zu suchende Zielzeit hat 5 Stellen. Erarbeite sie!

2. Das Wetter

Was wäre für Dich ein Super Marathon-Wetter? Hast Du’s? - Gut. Was wäre das Gegenteil? - Also stell Dir das grausigste verregnete Wetter vor, das Du Dir vorstellen kannst. Du bist schon vor dem Start richtig geduscht, so daß Dir die Haare am Kopf kleben, das T-Shirt sowieso. Dazu kommt jetzt noch Wind. Und zwar immer dann wenn Du ihn überhaupt nicht gebrauchen kannst.

***Hinweis 2:
Du weißt von mehreren anderen Läufern, die Dir im Startbereich beim Aufwärmen sagen, daß es ein Wahnsinn ist, nur 2 Wochen nach Deinem letzten Marathon schon wieder einen zu laufen. Der „Hammer“ bei km35 wird Dir mehrmals prophezeit. Und Muskelschmerzen dazu. Und 2 Wochen Muskellähmung ab dem Zieldurchlauf. --> Dafür erntest Du die Ziffer 9 als letzte Stelle Deiner Ziel-Endzeit.

3. Die Strecke

Welche Strecke wäre für Dich ideal? In frischer Waldluft? Über Wiesen? - Ja, und natürlich ohne Verkehr oder gar Autos auf der Landstraße direkt neben Dir. Ja, und möglichst keine langen Geraden, die nie enden und demotivieren. Und keine steilen Brücken... Die perfekte Marathon-Strecke wäre das. - Und jetzt, Du ahnst es schon, denk Dir all die schönen Sachen einfach weg. Bleiben die Autos, die Dir fast über die Schuhe fahren, auf Dich zukommen, um die Ecke plötzlich auf Dich warten, und Dich pfützenmäßig vollspritzen. Vom Lärm ganz zu schweigen. Sie fahren auf der Bundesstraße, 2 m an Dir vorbei. Autos auch auf der natürlich steilen und nicht einmal einzigen Brücke des Parcours. Dazu mindestens 5 nimmer endende Geraden. Immer Gegenwind nicht vergessen. Und dazu der ins Gesicht klatschende Regen. - Kannst Du noch folgen? Dann denk Dir dazugemischt noch ungleichmäßiges und nasses Kopfsteinpflaster, etwas Schotter, und Tausende zentimetertiefer Pfützen, die man nicht umgehen kann. Und schwupp naß sind die Schuhe. Halt, natürlich kein Wald, keine Wiese. Du weißt schon: harter Straßenasphalt...

***Hinweis 3:
Dein Start war sehr flott, Puls 167 bei km10 ist aber cool. Du weißt, niedriger wird er nicht mehr zu drücken sein. Jetzt kommt die Vorahnung an den angekündigten Hammer bei km35. Er kann auch früher kommen, bei km25, sagt der erfahrene Läufer, der neben Dir läuft. Du schluckst, und versuchst nicht daran zu denken. Fröhliches Pfeifen in Gedanken.  Vorletzte Ziffer der Zielzeit wird die 4 sein.

4. Das Publikum

Hamburg vor 2 Wochen hatte 500.000 tobende Zuschauer, die Dich fast von alleine ins Ziel trugen. Berlin vor einem halben Jahr hatte sogar 1 Million. Wow! Stell Dir diesen posaunenden klatschenden Mob vor, wenn Du vorbeikommst. Irre! Und immer wieder wird Dein Name gerufen. In Viererreihen stehen sie dicht gedrängt und feuern Dich an bis ihnen die Stimme versagt. Und sie klatschen begeistert. Tausende von Kindern wollen Dir die Hände klatschen, Dich berühren. Samba-Gruppen und Rockbands säumen den Weg. Go-Go Girls stehen zum Anfassen nahe an der Strecke und schwenken ihre Glitzerbäusche. Leute stehen in den Fenstern und rufen Dir zu, geile Musik dröhnt aus ihren Fenstern. Daaas ist Marathon-Publikum! - Und jetzt stell Dir mal vor: 27 verstreute Gestalten, alle 2 km ein Paar. Du triffst sie vermummt unterm Regenschirm mit Handschuhen und Stiefeln. Du triffst sie mehrmals, da es ein Rundkurs ist. Sie stehen da, wortlos und action-los dreingaffend. Nein, nicht übertreiben in Deiner Vorstellung, mein Freund. Es gab doch jemand mit einer Rassel...

***Hinweis 4:
Bei km15 weist Dich der Läufer an Deiner Seite hin, daß Du für Deine Bestmarken, die Du ihm verraten hast viel zu schnell angegangen bist. Noch ein Satz von ihm, dem Erfahrenen: „bei km25 wird Deine Batterie leer sein“. Du hältst aber mit ihm noch gut mit. --> Dafür erhältst Du die 6 als drittletzte Zahl Deiner gesuchten Zeit. Wir sind bei X:X6:49 Stunden.

5. Die Läufer

Stell Dir vor, Du läufst von Beginn an bis ins Ziel mit Tausenden gleichstarker Läufer. Du redest mit ihnen, sie ziehen Dich mit. Sympathische fröhlich laufende Mitstreiter. Das motiviert! - Und jetzt wieder das Gegenteil. Stell Dir 42 lange km vor und nur 160 Läufer insgesamt, sie verlieren sich auf der Streckenlänge. Mehr und mehr. Ab km15 ist keiner mehr in Sicht. Fast verlierst Du den Weg, weil keiner mehr vor Dir läuft. Nicht vorstellbar? Das ist heavy! Traurig, doch so ist es, mein Freund.

***Hinweis 5:
Du hast im gleichen Tempo wie bei km10 auch km25 erreicht. Der Schnitt liegt leicht unter 4:00 min/km. Ja, genau, mehr kannst Du nicht (siehe oben). Deine Halbmarathon-Bestmarke ist im Vorbeiflug um 10 sec. verbessert worden. Derselbe Läufer, der Dich immer noch begleitet, er lächelt verstört. Du beginnst an Wahnsinn in Dir zu glauben. Dein Puls rast mit 175 dahin. Mit jedem weiteren km rechnest Du mit Deinem Ausfall. Noch unendliche 17km! Die Chancen für Deinen Ausfall steigen auf 95%. Willst Du aufgeben, oder auf Endzeit weiter spielen? Okay, weiterspielen, Du Zocker…

6. Du selbst

Stell Dir vor, Du bist locker im monatelang aufgebauten Training, alles von Profis auf Dich zugeschneidert. Du bist ausgeruht, ausgeschlafen und hoch motiviert. Seit Monaten stimmt sich Dein Geist nur auf dieses Ereignis ein. Die liebende Frau an Deiner Seite unterstützt Dein Vorhaben voll und ganz und hält Dir den Rücken frei. Du hast alle rettenden Massagecremes parat. Vitaminpräparate und Mineraldrinks auch. Die richtige Ernährung im Vorfeld, inklusive Nudelparty am Vorabend geben Dir die maximale Sicherheit. - So, und jetzt stell Dir das Gegenteil vor. Wie? Na, z.B. Du hast es Dir wider allen guten Ratschlägen nicht nehmen lassen zwischen den beiden Marathons 100 km in 2 Wochen zu trainieren. Du warst die vorletzte Nacht vor dem Wettkampf nach einem langen schnellen Lauf noch obendrauf mit Deinem besten Freund (ja, mit Dir) richtig zackig Techno zappeln in der Disko, 3 Stunden lang und patschnaß. Eine treu sorgende und liebende Freundin hast Du nicht. Niemand wartet auf Dich zuhause. Aber Du bist guter Dinge: soll Dich doch der „Hammer“ erlegen!

***Hinweis 6:
Du hast erstaunlicherweise wirklich km34 erreicht. Puls 180. Es irritiert Dich zutiefst, daß Du noch immer keine bekannten Symptome spürst: kein leises Muskelspannen zwischen den Schulterblättern, Kneifen im Hohlkreuz oder kalt werdende Hände, die erst nach mehrmaligem Lockerschütteln warm werden. Du spürst gar nichts. Das ist es. Das Ende! Die Ruhe vor dem Knall. Du rechnest bei dem weiterhin 4:00-min/km-Tempo mit einem Totalausfall in den nächsten Minuten. Sekündlich. Langsam beginnen Deine Nerven dünn zu werden. Km35 nähert sich gnadenlos! Aber Der Läufer an Deiner Seite zieht Dich weiter. Stehenbleiben wäre das Ende. Das weißt Du. Die Ausfallwahrscheinlichkeit war vor wenigen Minuten noch 99% ist jetzt schlagartig auf 0,3% gesunken. --> Für diesen Willensakt erhältst Du die 2 als erste Ziffer der gesuchten Zahl. Ja, die 2, will heißen: unter 3 Stunden: 2.X6:49 h. Brauchst Du nicht die Stirn runzeln…


Die Auflösung

Schon mit Hinweis 6 wurde Dir klar, daß Dich nur eine mindestens 6-stellige Dollarsumme, oder die ideale Traumfrau, Dir völlig verfallen und die Dich auf der Stelle heiraten will von Deiner neuen persönlichen Bestzeit abbringen können. Und bei natürlich höchstem mathematischen Sachverstand, den Du hast, wird Dir jetzt schlagartig klar mein Freund, dass die fehlende Ziffer nicht die 5 sein kann. Bei einem Schnitt um die 4:00 min/km die ganze Zeit über? Unmöglich! Somit ist die gesuchte Zeit nicht 2:56:49 h, was für sich alleine schon einem Mega-Wunder entspräche, und Deine Bestmarke um weitere 2 Minuten (!) vorangebracht hätte.

Nein!!! - Mit um 12 Minuten verbesserter persönlicher Bestmarke landest Du, glücklich und nur wenig abgekämpft bei 2:46:49 h im Ziel! Nur 2 Wochen nach Deiner grandiosen Bestzeit. Ist das nicht Wahnsinn? Und das trotz aller Widrigkeiten! Das kann kein Wunder mehr sein. Alle die, denen Du das freudestrahlend erzählst, halten Dich für einen Aufschneider. Und es stimmt! Du bist ein Aufschneider. - Solange bis die offizielle Ergebnisliste die Runde macht...

Du hast Platz 4 in der Bayrischen Bestenwertung Deiner Klasse!

--> Tolles Spiel, stimmt’s?“

Ich selbst hätte es nicht erraten. Aber so war es. Mir selbst geschehen bei meinem 3. Marathon im kleinen Hersbruck bei Nürnberg.

Mit ewig darüber träumenden Füßen,

Euer Erwin



 
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