Team Bittel
 

15.01.2006 - 3. Bombay Marathon  

Autor:  ErwinBittel   E-Mail: erwin@teambittel.de
Letzte Änderung: 16.01.2006 07:41:02

Bestaunt durch die Megametropole laufen, warme 30 Grad, die Sonne brennt auf den Kopf. Der Bombay Marathon ist etwas Besonderes. 27.500 Laeufer in der 30 Millionen-Stadt.

Hallo Indienfans, Winterlaeufer und Lauffreunde,


es ist ein Erlebnis der ganz besonderen Art, hier mitzulaufen. Ich travelle zur Zeit durch Indien und das mit dem Marathon ist spontan gekommen. Weihnachten war ich noch in 3-woechiger Lauf-Winterpause. Heute, 4 Wochen spaeter gehe ich das Experiment Bombay Marathon an. Wenig Vorbereitungszeit, ja. Doch es hat geklappt. Nur mit viel Erfahrung und in den Koerper horchen ist das zu machen. Die Sonne brennt heiss auf den Kopf, der schwarze Asphalt glueht, kein kuehlender Wind, wenig Schatten.

Unschwer zu sehen, dass Marathonlaufen in Indien noch in den Kinderschuhen steckt. Die Zeitmessfirma kommt aus Deutschland, wie ich bei der Einschreibung feststelle. Ich habe wirklich Glueck, dass ich noch mitmachen darf, denn mein Zug kommt mit 4 Stunden Verspaetung am Vorabend in Bombay an. Ich schaffe es gerade noch zum World Trade Center (kleine Marathon Expo), wo man mich sehr freundlich und zuvorkommend bedient, und ich trotz Meldeschluss als einer der 200 Foreigners noch mitmachen darf. Ich stelle mich brav in die Schlange, warte 45 min. und bekomme fuer 1.200 Rupien (23 Euro) meine Startnummer und einen kleinen Beutel mit einem Info-Flyer. Ich glaube ich bin der letzte. In der Schlange bleiben gelingt den Indern sichtlich nicht. Aber das ist Indien. Fuer 600 Rs (12 Euro) bekomme ich meinen Championchip, 500 Rs gibts wieder zurueck im Ziel.

Eigentlich faengt mein Marathon-Abenteuer bereits am Vor-Vortag in der heiligen Stadt Varanasi am heiligen Fluss Ganges an. Ueberhaupt nicht heilig duest mein Motor-Rikshaw-Fahrer durch die holprigen verstopften Gassen und Strassen und bringt mich gerade noch rechtzeitig zum einzigen Zug heute nach Bombay. Puh, geschafft! Vor mir liegen 30 Stunden recht bequemes Reisen im Sleeper Abteil. Und das ist erstaunlicherweise nicht einmal voll.

Bombay, Marathontag. Ich stehe morgens um 6.45 h auf, bin ausgeschlafen, dusche warm in meinem kleinen Hotel. Warm, das ist nicht selbstverstaendlich und nur morgens moeglich. Mein Hotel ist nur 10 min. vom Start. Ich laufe dorthin, gebe meinen Beutel ab mit dem Handtuch und paar frischen Sachen und mache meine Startgymnastik. In Indien sage ich Yoga dazu. In der Tat sind meine Rosa B-Uebungen teils echtes Yoga. Heute gibt es den Halbmarathon (21km), der schon um 7.:00 h startet, den Senior Citizens Run um 8:15 h (5km), das Wheel Chair Event um 8:20 h (3,5km) und den 15.000-Massenlauf Dream Run (7km) um 09.30 h. Insgesamt 27.500 Laeufer und viele davon Charitylaeufer. In der morgendlichen Waerme schwitze ich schon am Start, bestaunt von den Polizisten, ob ich denn das Gitter wegdruecken moechte? Sie lachen. Foreigners sind manchmal lustig. Ich sehe nicht viele davon um mich, unterhalte mich nur kurz mit 2 US-Amerikanern. Ob man dem Wasser trauen kann? Ich traue ihm. Wir werden bald sehen: es gibt Wasser aus verschlossenen 0,25L-Flaschen, oft mit Plastikhandschuhen gereicht. Elektrolyte gibt es auch, aus Bechern. Sonst jedoch nichts.

Der Start erfolgt puenktlich um 08.00 h, da sind die Inder sehr korrekt. Wie auch die Zuege am Ausgangsort immer puenktlich losfahren. Wir laufen ueber rote Kokosmatten, gehen dann aber noch etwa 500m zum Start. Dort ist der offizielle Start mit Startschuss um 08:05 h mit richtigen Piep-Matten wie wir sie kennen. German Technology. Ich bin sehr gespannt, wie das Publikum ist, ob die Strassen wirklich leer sind, keine Autos fahren oder parken und wo wir laufen werden?

Das Publikum am Start winkt, knipst, ruft. Englisch spricht man kaum, aber einige Worte sprechen sich herum: “Keep going”, “Looking good”, “Keep it up”. Winken ist Indern nicht fremd im Vergleich zu Gefuehlsaeusserungen wie Jubeln oder Anfeuern. Um so mehr mag ich es wie sie sich freuen wenn ich ihnen zuwinke oder wenn ich stehenbleibe und knipse waehrend des Laufens.

Die ersten km stehe ich oft und mache Fotos. Der Tag erwacht langsam. Ich springe auf die Kaimauer, steige in eine Hecke oder gehe auf die andere Seite der breiten Strasse fuer ein Foto. Die Uferstrasse ist fuer uns fuer volle 5 Stunden gesperrt. Bombay nimmt dies gelassen. Ist eben so. Viele Polizisten in khaki-brauner Kolonialuniform stehen vor dem Publikum mit ihren langen Holzstoecken zur eventuellen Massregelung. Doch gebraucht werden die Stoecke nicht.

Was ist das Besondere hier? Gut, es sind nicht so viele Zuschauer wie eine 30-Millionenstadt erwarten laesst. 200.000 Familien werden erwartet. Es ist anders als bei europaeischen Marathons, in die Gesichter der Zuschauer zu sehen. Sie sind gefesselt, irgendwo zwischen hoechstem Respekt, wie vor einem der oberen Kaste, oder einem Filmstar und Bewunderung, dass es moeglich ist so weit und so schnell zu laufen. Ich sehe Laeufer in Schlappen, den typischen Badelatschen, Chappals. Und einige Barfusslaeufer, sicher nicht aus Ueberzeugung, eher aus dem Mangel an passenden Schuhen. Einer hat eine sehr einer Unterhose aehnelnde Short an, ein anderer laeuft in gesellschaftskorrekter langer Bekleidung. Vor allem die Frauen tun dies. Ich ueberhole einen, der Mantras vor sich hinsingt und junge Inder mit Musikknopf im Ohr. Natuerlich wird auch waehrend des Laufens mit dem Handy telefoniert. Moderne Zeiten. Einer hat sich bunt auf die frischgeschorene Glatze “Mumbai Marathon 2006” gemalt.

Typisch ist, dass alle weit ueber ihre Faehigkeiten zu schnell losrennen. Schon bei km5 gehen viele, ab km10 die meisten, und ab km20 finde ich nicht mehr viele die laufen. Sehr viele werden es nicht schaffen. Es ist einfach zu heiss.

Die erste Wende ist bei km3. Ich sehe die entgegenommenden Elitelaeuferpulks der fast ausnahmslos schwarzen Herren und der Damen. Und ich sehe die vielen Halbmarathonis mit blauen Nummern auf ihren letzten km. Bei km14 kommt unsere zweite Wende. Wir laufen stets an der Ufermauer entlang mit Blick aufs diesige Meer. Weit sehe ich nicht hinaus. Ich stosse zum 5ten Mal auf die beiden Amerikaner, die zusammen laufen. Nach einer Weile mit ihnen gehe ich langsam weiter. Auf der anderen Strassenseite gruesst mich schwitzend eine andere Amerikanerin, nun etwas hinter mir, die ich vorhin ein Stueck begleitete. Eine Reihe von 10 jungen Laeufern in einheitlichen blauen Shirts singt staendig und klatscht. 60 Jahre Jubilaeum Ihres Vereins, in 60 Jahren moechten sie hier immer noch laufen. Dann kommt das lange heisse Stueck Strecke in der offenen Sonne. Kein Wind, kein Schatten. Es sind nur noch vereinzelt Laeufer um mich, die meisten laufen seit Beginn alleine. Dann kommt die dritte Wende bei km23. Mir gehts gut, ich teile meine Kraefte bewusst ein. Immer viel Wasser trinken, immer Wasser ueber den Kopf giessen.

Seit einer Weile laufe ich knapp hinter einem jungen Inder, Abhijeet Singh, hole ihn bald ein und beschliesse bei ihm zu bleiben. Wir sind uns sofort sympathisch, er spricht sehr gut Englisch, ist vorgestern 30 geworden und kommt aus Bombay. “I’ll be under 4?” – Ja, troeste ich ihn, das wird locker reichen fuer 3:59 h. Er war vor 2 Jahren auf dem Mount Everest Gipfel. Zu zweit laeuft es sich einfach angenehmer. Wir ueberholen immer wieder einen vereinzelten Laeufer, bereiten uns auf die Hills ab km27 vor. Leicht ist es fuer ihn nicht bei seinem ersten Marathon und dazu relativ wenig Vorbereitung, aber zusammen werden wir es bravouroes meistern.

Die Strassen sind breit, wirklich mehr als genug Platz. Fast ueberall steht Publikum, mal in grossen Gruppen, mal in kleinen. Ich blicke nach oben und sehe eine ganze Haeuserfassade voller winkender Fans auf ihren Balkons. Nicht so oft, aber immer wieder hoere ich Trommeln, meist hinter dem Publikum versteckt. Eine Percussion-Band heizt uns ein, wie auch die vielleicht 10 Cheerleader-aehnlichen Maedchengruppen verteilt ueber die Kilometer. Ich waere nicht ueberrascht gewesen, wenn es junge Maenner gewesen waeren, denn Tanzen ist nicht typisch fuer indische Frauen. Aber alles ist moeglich im modernen Indien.

So naehern wir uns langsam den letzten km, die ersten Werbeplakate werden bereits weggetragen, das Publikum ist weniger geworden und steht nur noch im Schatten. Klar. Wir traben gelassen aber doch erschoepft ueber unseren letzten Kilometer, geniessen den Zieleinlauf und dass wir es ohne Stehenbleiben doch ganz gut geschafft haben. 3:51 h ist eine bombastische Zeit heute. Bombay-astisch.

Im Ziel bekommen wir eine kleine Medaille um den Hals, und schon gehts weiter. Ich komme nicht zum Stehenbleiben, gerade noch ein Foto von uns beiden Finishern, dann nimmt mich jemand am Arm. Diesen Griff kenne ich als Traveller nur zu gut hier in Indien. Ich mag es nicht. Der junge Mann ist sichtlich von der Organisation, in rotem Helfer-Anzug, aber er sagt mir nichts. Er spricht kein Englisch. Gut, jemanden neben sich zu haben, der fliessend Englisch spricht. Abhijeet uebersetzt: Du bist erster in der Veteranenklasse! Nein, ehrlich? Aha, deshalb. Bald sitze ich voellig verschwitzt und ohne Wasser mit Abhijeet eine Weile im Stoffzelt neben der Siegertribuene. Warten. ich will Wasser. Please! Gibt es Duschen? Nein. Immer wieder reicht mir jemand eine halbvolle kleine Wasserflasche. Na wenigstens was. Bald kommen Nr. 2 bis Nr. 4 der Veterans an. Wir unterhalten uns und erwarte die baldige Siegerehrung. Vivek, einer der Hauptverantwortlichen des Laufes erklaert mir mit grossem entschuldigendem Blick, dass ich wohl der Sieger waere, aber eben keinen Preis bekommen koenne, weil ich kein Inder sei. Ist okay, dann gehen die 25.000 Rs (500 Euro) eben an einen anderen. Ich bin sowieso nur gelaufen um Spass zu haben, paar nette Fotos zu machen und ueber den Lauf zu berichten. Langsam komme ich zu meiner Fluessigkeit, Wasserflaschen werden gebracht. Mein Koerper beruhigt sich, ich schwitze aber sehr. Im Schatten mache ich mein Yoga. Die anderen vier runzeln die Stirn, versuchen ihr Moeglichstes um aufzustehen und etwas mitzudehnen. Aber es klappt nur bei Abjheet, der ersatunlicherweise gierig sein Reis-Curry (Finisher Food) verspeist. Nach der offiziellen Siegerehrung der Veterans (ueber 45 Jahre) werde ich kurz auf die Buehne gebeten, erhalte einen dicken knallgelben Blumenstrauss von Vivek und gruesse in die Menge “Thank you Mumbai I like you, Namaste”.

Offiziell gibt es keine Massagen, doch wir bekommen eine gute Bein- und Fussmassage, sitzend auf den Plastikstuehlen im Zelt neben der Tribuene. Danke. Immer wieder kommen Fans herein und moechten ein Autogramm. Mei, so etwas kenne ich noch nicht, ist aber sehr angenehm. Spaeter erfahre ich, dass ich als inoffizieller Winner im Fernsehen war, und am naechsten Tag in der Zeitung. Viele sprechen mich aufgeregt an, im Hotel, im Internet Shop, im Restaurant, dass es unfair sei, mir die Praemie nicht zu geben. Ich sage gelassen, das ist okay so. Es ist Euer Marathon.

Nach der Ehrung gehe ich mit Abhijeet um den Chip abzugeben, die 500 Rs und die Soforturkunde zu holen. Leider gibt es keinen Strom. Also Warten. Mir macht mir die stechende Sonne und heftige Mittagshitze sehr zu schaffen. Ich bin erst vor 1 Tag aus dem kuehlen Norden Indiens gekommen und warte die dreiviertel Stunde lieber im sich leerenden Food Tent. Einer der Sieger moechte mich zum Lunch einladen. Wie nett, aber ich kann in dieser schwuelen Hitze noch immer nicht an Essen denken. Obst gibt es leider keines hier, nur Reiscurry, typisch indisch und sehr scharf. Abhijeet und ich verabschieden uns, tauschen Mailadressen aus und werden sicher lange in Kontakt bleiben, mein netter Mumbai-Lauffreund und ich.

Jetzt brauche ich eine Dusche und ein Bett fuer eine Stunde. Danach werde ich Papayas essen und viel Obst. Auf mueden Fuessen wackele ich ins Hotel, dusche endlich (halb kalt) und lege mich eine Weile hin. Ich lasse mir vom Ventilator die heissen Fuesse kuehlen und doese ein. What a day! Als ich erwache singt David Bowie im Fernsehen oben an der Wand: “heroes just for one day”. Mir laeuft die Gaensehaut runter, ich nicke sanft, falte meine Haende vor dem Kopf und danke Shiva fuer dieses Erlebnis.

Namaste, der Gruss aus der Seele. Salaam Bombay!

Erwin, noch eine Weile in den Strassen vom Bombay, dann weiter travellend.




Weiterführender Link zum Thema: Bericht Bombay Marathon 2009 von Suse
 
[team/fuss.htm]