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3. Fränkische Schweiz Marathon Forchheim 29.09.2002 Autor: MichaelSchulz
E-Mail: marathon.michael@gmx.de |
Klasse statt Masse - Die Entdeckung der Langsamkeit! |
"Ganz schön früh!", denke ich mir, als mein Wecker um viertel vor 6 am Sonntagmorgen klingelt. Meine Sachen hatte ich schon am Vorabend gepackt. Nachdem ich mich von meiner Freundin leise verabschiedet habe, mache ich mich auf den Weg zum Bahnhof. Mit dem Zug fahre ich dann von Coburg nach Forchheim, dem Start-Ort des Marathons. Von dort aus geht es über Ebermannstadt in die fränkische Schweiz und wieder zurück zum Ziel nach Ebermannstadt. Ganz schön frisch ist es heute morgen und ein bisschen bewölkt. Vielleicht kommt ja die Sonne noch durch und möchte uns heute auch zuschauen? Auf jeden Fall regnet es heute nicht, so wie vor einem Jahr beim 2. Marathon in der Fränkischen Schweiz. Die wenigen Minuten Fussweg zum Startplatz trabe ich locker, um mich schon ein bisschen auf das bevorstehende Ereignis einzustimmen. In gewisser Weise ist das heute eine Marathonpremiere für mich, obwohl ich schon einige hinter mich gebracht habe. Mein Freund Erwin fragte mich Mitte der Woche, ob ich nicht Interesse hätte, als "Zug- und Bremsläufer 4:30 h" an den Start zu gehen. „Was muss ich denn da machen?“, wollte ich wissen. Erwin, der die 3:00-Stunden-Läufer zieht bzw. bremst, sieht das wie gewohnt ganz locker. "Ganz einfach, Du läufst einfach los, schaust jeden Kilometer auf Deine Uhr, läufst eine konstante Kilometerzeit und bist nach 4:30 h im Ziel. Du kannst das!" Ich zögerte ein bisschen, sagte aber dann zu. "Ist mal was Neues", dachte ich mir, "mal sehen, was ich dabei so erlebe?". Vor dem Start treffe ich mich mit Erwin. Und so stehe ich nun am Start, ein Schild in der Hand, dass mich als Zug- und Bremsläufer zu erkennen gibt und viele, viele Läuferinnen und Läufer, die sich hinter mich einreihen. Noch ein paar Minuten bis zum Start und ich merke eine gewisse Aufregung in mir. So viele Leute, hoffentlich geht das gut! Pünktlich zum Startschuss blinzelt die Sonne durch die Wolken. Heute ist sie auch einer von vielen Zuschauern, meint es gut mit den zahlreichen Aktiven und Fans. Der Startschuss fällt um punkt 9 Uhr und rund 1.500 Marathonis machen sich auf den Weg. Die Skaterinnen und Skater gingen schon ein viertel Stunde früher ins Rennen. Erstmalig in diesem Jahr gibt es einen Partnerlauf. Dabei kann die Marathonstrecke zu zweit absolviert werden. Der Erste läuft 16 km von Forchheim bis Ebermannstadt, der Zweite die restlichen 26 km. Eine Variante die gut ankam. Dabei ging es vielen nicht um die Zeit, sondern einfach darum, eine Marathonstrecke, wenn auch nacheinander, zusammen zu bewältigen. Kurz nach 9 überquere ich mit meinen "Jüngern" die Startlinie. Ich komme mir wirklich so vor. Mein Schild in die Höhe gestreckt, und viele, viele laufen hinter mir her. Es erinnert mich an Forest Gump. Es klappt besser, als ich gedacht hatte. Die ersten Kilometer gehen rasch vorbei und die Zeiten kommen annährend an meine Vorgabe heran. So ca. 6:20 min. pro Kilometer sollen es sein, dann wären wir bei 4:29 h im Ziel. Wir laufen durch Forchheim. Ich bin überrascht von den vielen Zuschauern, die jetzt schon an der Strecke stehen und uns anfeuern. Morgens um 9 Uhr! Langsam bildet sich eine kleine Gruppe um mich herum und wir kommen ins Gespräch. Nach einigen kleinen Anstiegen erreichen wir den ersten Verpflegungspunkt bei km7. Ich bleibe bewusst ein bisschen stehen, und signalisiere meinen Mitläufern, dass sie sich Zeit lassen sollen. Lieber stehen bleiben und in Ruhe trinken. Das laufen wir locker wieder heraus. Es gibt Wasser und Mineralgetränke, später, ab km17 dann noch Bananen und Cola. Die Helfer von Feuerwehr, THW und rotem Kreuz waren fleissig dabei, uns mit dem Notwendigen zu versorgen. Wir erreichen die Stadtgrenze von Forchheim und laufen auf der Bundesstrasse 470 über’s Land Richtung Ebermannstadt. Zum ersten Mal sind die Anhöhen der Fränkischen Schweiz zu erkennen. Die Sicht ist noch ein bisschen diesig, die Morgensonne glänzt im grünen Blätterwerk. Meine Läufergruppe zieht sich langsam auseinander. Ich kontrolliere die Zeit. Ich bin nicht zu schnell, obwohl ich manchmal das Gefühl habe. Ist gar nicht so einfach, wenn man gewöhnt ist, schneller zu laufen. Ein Pulk von ungefähr 12 Läufern hat sich um mich gebildet. Ein paar laufen heute ihren ersten Marathon. Thomas aus Küps zum Beispiel und Heidemarie aus Nürnberg. Immer dann, wenn sich die Laufstrecke mit anderen Strassen kreuzt sind die Bewohner der naheliegenden Ortschaften an die Laufstrecke gekommen und jubeln uns zu. Viele fahren mit dem Rad neben uns her, erkennen ihre Freunde oder Verwandte. Es ist ein lustiges Hallo, die Stimmung ist super! Nach gut 1:45 h erreichen wir Ebermannstadt. Wir liegen genau in der Zeit. Hier "tanzt wirklich der Bär", eine Samba-Gruppe trommelt und tanzt. Viele Leute, coole Musik, der Streckensprecher begrüsst uns mit Namen und bemerkt, dass wir noch richtig gut aussehen. Na klar, wir sind ja auch gut drauf! Jetzt geht es auf, noch 26 Kilometer. Wir laufen etwas bergauf in die fränkische Schweiz hinein. Links und rechts von uns erheben sich hohe Berge, schroffe, kantige Felsen kommen zum Vorschein. Eine Burgruine rechter Hand, die Ruine Neideck, eine einsame Kirche zur linken. Ich bin überwältigt von der Schönheit der Landschaft! Obwohl ich nicht weit von hier wohne, kenne ich mich hier überhaupt nicht aus. Und ich bedauere es, nicht öfters hier gewesen zu sein, mit dem Rad oder zum Wandern. Aber das kann ich ja noch nachholen. Wir laufen in ein langgezogenes, enges Tal hinein. Rechts von uns ein kleiner Fluss, der das malerische Bild noch abrundet. Ab und zu zeigt er uns in einigen Stromschnellen seine Gewalt. Das Rauschen kommt mir vor wie sein leiser Applaus für unsere Leistung. Die ersten Läufer und Läuferinnen kommen uns entgegen. Einige sehen noch sehr frisch aus, andere sind gezeichnet von der Anstrengung. Mein Freund Erwin, der 3:00-Stunden-Zugläufer kommt uns entgegen. Auch er hat noch eine Grüppchen bei sich. Schnell noch ein "Hallo" im Vorbeisausen. Und immer wieder die begeisterten Zuschauer am Rande der Strecke. Ihr Applaus und Ihr Jubel lässt uns wieder eine Weile schweben. Dann geht’s weiter in das fast menschenleere Tal und die Einsamkeit des Langstreckenläufers überkommt jeden einzelnen von uns. Eine gute Mischung finde ich: erst eine aufpeitschende Stimmung, dann wieder eine einsame Stille, um in den eigenen Körper zu hören. Kurz vor dem Wendepunkt treffe ich Bernd. Er ist schon auf den Rückweg nach Ebermannstadt. Ich kenne Bernd von meiner Reise zum Adventure Trail des Verdon, einem Etappenlauf in Südfrankreich. Wir umarmen uns kurz, laufen aber gleich weiter. Später dann, im Ziel, finden wir noch Gelegenheit, uns ein bisschen ausführlicher zu unterhalten. Endlich erreichen wir den Wendepunkt bei km29. Jetzt geht es bergab, zurück zum Ziel. Wir sind noch zu fünft, die Reihen lichten sich langsam. Unsere Zeit stimmt. Nicht zu schnell und nicht zu langsam. Langsam spüre ich meine Beine. Auch langsam laufen will gelernt sein! Die anderen sind noch gut drauf. Das Tempo ist wohl genau richtig für sie. Ich freue mich. Kaum einer sagt noch etwas, jeder ist in sich versunken. Immer wieder unterbrochen von jubelnden Leuten am Strassenrand. Ich bin immer noch fasziniert von der grandiosen Natur. Die Sonne spiegelt sich glitzernd im Wasser des Flusses. Mein Blick wandert über die Baumwipfel des dichten Laubwaldes am Berghang. Leichte Verfärbungen sind schon erkennbar, ein sanftes rot, eine pastellfarbenes orange. Der Herbst kündigt sich an. Und immer wieder die Felsen am Rande der Strasse. Früher haben sich hier bestimmt Räuber versteckt und die die vorbeiziehenden Händler überfallen. Meine Gedanken wandern in eine vergangene, ferne Zeit, mit Prinzessinen, Drachen und Helden. "Noch 10 Kilometer!", Thomas bringt mich wieder in die Gegenwart zurück. Jetzt habe ich ganz vergessen, den letzten Kilometer zu stoppen. Wir zählen die Kilometer von nun an rückwärts. Ruine Neideck ist jetzt auf unserer linken Seite. Jetzt geht es mitten durch einen kleinen Ort Streitberg hindurch. Die Blasmusik spielt, es gibt Bier und Bratwürste. Ein Schluck Bier wäre jetzt was Feines! Den ganzen Tag nur Wasser und Bananen, da bekomme ich langsam Appetit auf etwas "Ordentliches". Auf die Strasse sind mit weisser Farbe Namen von Läufern geschrieben. Wie bei der Tour de France. Noch 5 Kilometer. Ich fühle mich so gut. Ich geniesse den Lauf. Ich schaue mich um, sehe in die Gesichter der anderen. Wir überholen einen nach dem anderen. Viele sehen schon richtig kaputt aus. Aber es ist ja nicht mehr weit. Noch zwei Anstiege und dann geht es nur noch bergab nach Ebermannstadt. Wir erreichen das Ortsschild und es ist hier Party. Die Leute jubeln uns zu, klatschen, sind begeistert. In der Ferne ist das Zielbanner zu erkennen. Wir sind jetzt noch fünf. Drei davon feiern Ihren ersten Marathon-Zieleinlauf: Nach 4 Stunden und 28 Minuten erreichen wir überglücklich das Ziel. Wir umarmen uns. Alle bedanken sich bei mir für die hervorragende Unterstützung. Ich weiss gar nicht, was ich sagen soll. An ihrer grossartigen Leistung hatte ich doch den geringsten Anteil! Eine junge Dame hängt mir die Medaille um den Hals. Es gibt Kuchen, Mineraldrink und Cola. Ich nehme gleich 2 Becher mit. Meine Freundin und meine Mutter erwarten mich im Ziel. Ich freue mich, beide zu sehen, eine wunderschöne Abrundung dieses in vielerlei Hinsicht einzigartigen Erlebnisses. Schnell noch ein Foto und endlich hinsetzen. Ich spüre die wärmende Sonne auf meiner Haut, geniesse die Atmosphäre im Zielbereich. Nach und nach kommen noch viele Läufer herein. Ein paar enttäuschte, aber meist doch glückliche Gesichter. Langsam aber sicher geht auch dieser Marathontag zu Ende und wir treten die Heimreise an. Noch immer gehen mir die Eindrücke im Kopf herum. Die Erlebnisse waren doch viel intensiver, als ich es vorher gedacht hätte. Auch meine Premiere als Zug- und Bremsläufer hat prima geklappt. Ich bin überwältigt und dankbar für dieses Erlebnis. Heute habe ich für mich die Langsamkeit entdeckt! Meine Bewertung: Der Fränkische-Schweiz-Marathon ist ein kleiner, aber beschaulicher Marathon. Durch das Wechselspiel von Stadt und Land, hat er sowohl für Stadtläufer als auch für Landschaftsläufer etwas zu bieten. Die Unterstützung der Zuschauer war für die Verhältnisse ausgezeichnet. Vor allem während der zweiten Hälfte kommen die Naturfreunde unter den Läufern auf ihre Kosten. Mir persönlich hat das Laufen auf der Asphaltstrasse nicht viel ausgemacht. Im Gegenteil. Man kann sich dabei mehr auf die Landschaft konzentrieren, ohne die Gefahr, über eine Wurzel zu stolpern oder umzuknicken. Durch mein langsames Lauftempo konnte ich, im Vergleich zum letzten Jahr hier, die Landschaft und meine Umgebung viel besser beobachten und in mich aufnehmen. Auch hier gilt der Grundsatz: "weniger ist mehr", besser gesagt: "langsamer ist mehr!" Der Fränkische-Schweiz-Marathon ist ein Marathon mit viel Flair und Gemütlichkeit. Die breite Strasse bietet jedem den notwendigen Platz, sein Tempo und seinen Rhythmus zu laufen. Ein echter Geheimtipp ohne Marathon-Massentourismus. - Klasse statt Masse! Michael vom Team Bittel |